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Stansstad

Stansstad, Schnitzturm

Der Schnitzturm war 1798 die wohl entscheidende Verteidigungsstellung in Stansstad. Der trutzige Turm, der seit dem Mittelalter zur Seebefestigung gehörte, ermöglichte den Nidwaldnern, den Angriff der Franzosen vor Stansstad abzuwehren. Sprachforscher halten für möglich, dass der Schnitzturm aufgrund der Besitzverhältnisse im 19. Jahrhundert zu seinem Namen kam. Zu zwei Dritteln gehörte der Turm nämlich Obwalden, zu einem Drittel Nidwalden. Jeder der beiden Halbkantone besass einen Schnitz (= Teil) des Turms. 1998 trat Obwalden seinen Teil an Nidwalden ab und sanierte zum Abschied den historischen Bau. Dabei bekam der Turm die heutige Aussichtsplattform.
Sturm auf Stansstad
➛ B. A. von Schauenburg, Général
➛ Kanonier Würsch, von Emmetten

Balthasar Alexis Henri Antoine de Schauenbourg, Général

«Ich verfolgte den Angriff unserer gut dreissig Schiffe und Holzflösse von Hergiswil aus. Wie zu erwarten, war ein Angriff auf Stansstad vom See sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Es blieb uns nichts anderes übrig, als vom frühen Morgen bis nach 12 Uhr mittags auf dem See mehr oder weniger vor Stansstad zu verharren. Die Barrikaden stoppten uns und machten uns zur Zielscheibe für die Nidwaldner Musketen-Schützen, die aus den schmalen Schiessscharten des Uferturms aus allen Rohren feuerten. Zwar näherten wir uns dem Ufer jeweils ein wenig. Aber jeden dieser Versuche bezahlten wir mit vielen Toten.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 397
Sturm auf Stansstad
Karl Jauslin (1842–1904): Sturm auf Stansstad, Druckgrafik in «Schweizergeschichte in Bildern», 1897 (Ausschnitt)
Privatbesitz Urs Vokinger, Stans/Silvan Bucher
«Der Vorschlag, den ich dem Helvetischen Direktorium gemacht hatte, bei den Gemeinden des Distrikts Schwyz, die durch ihre perfide Unterstützung die Revolutionäre in Nidwalden in ihren unsinnigen Vorhaben bestärkten, eine Steuer zu erheben, war ausschliesslich vom Wunsch diktiert, den unglücklichen Opfern eines wegen Halsstarrigkeit und Fanatismus ausgebrochenen Kriegs Erleichterung zu verschaffen. Das Direktorium hat den Erlös dieser Steuer der Armee zur Verfügung stellen wollen, aber ich habe dieses Angebot in aller Form abgelehnt und ersucht, einen zivilen Kommissär mit der Eintreibung und Verteilung der verlangten Entschädigungen zu beauftragen.»
General Schauenburg am 19. September 1798 an das Direktorium

Geschichte und Geschichten

«Geboren bin ich 1748 in Lothringen. Bereits als Jugendlicher trat ich in die königliche Armee ein. Nach 1789 stand ich im Dienst der Revolution. Während des Terrors der Jakobiner 1793/1794 kam ich ins Gefängnis, kommandierte aber bald wieder Truppen am Rhein und an der Mosel. Im März 1798 führte ich beim Angriff auf die Schweiz das nördliche Korps vom Jura gegen Solothurn und siegte gegen die Berner bei Fraubrunnen und Grauholz. Zum General der französischen Besatzungstruppen ernannt, schlug ich am 9. September den Aufstand in Nidwalden nieder. Ende 1798 wurde ich durch André Masséna abgelöst und war danach Armeeinspektor in Strassburg. 1814 schloss ich mich König Ludwig XVIII. an.»
nach HLS und Wikipedia

Geschichte weiterdenken

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Kommentar zur Bildquelle «Sturm auf Stansstad»

Sturm auf Stansstad
Karl Jauslin (1842–1904): Sturm auf Stansstad, Druckgrafik in «Schweizergeschichte in Bildern»
Privatbesitz Urs Vokinger, Stans / Silvan Bucher
Im Vordergrund versucht ein Schiff mit französischen Truppen zu landen. Das gelingt jedoch nicht. Die Barrikaden erweisen sich als zu stark. Auf beiden Seiten hat es bereits Tote gegeben. – Einheimische, vermutlich Hergiswiler, sind gezwungen worden, als Ruderknechte mitzuwirken. So jedenfalls sah es der Maler hundert Jahre nach dem Ereignis. In den Quellen gibt es zwar Hinweise auf Zwangsarbeit der Einheimischen, in diesem konkreten Fall der Ruderer aber nicht. Die Schiffe der Franzosen kamen auch nicht auf diese Nahdistanz an die Barrikaden heran, sondern blieben eher in sicherer Distanz auf dem See. Hinten ein französisches Floss mit weiteren Truppen und einer Kanone. Die graphische Darstellung «Sturm auf Stansstad» ist Teil der Bilder aus der «Schweizer Geschichte», die zwischen 1885 und 1897 derart nachgefragt wurde, dass sie in mehreren Auflagen erschien. Dieser Erfolg erklärt sich zum einen aus dem Sachverhalt, dass Karl Jauslin der erste Künstler war, der eine derart umfangreiche Bilderfolge zur Geschichte der Schweiz schuf, zum andern und vor allem, dass Jauslin in der Blüte des Historismus am Ende des 19. Jahrhunderts offensichtlich den Nerv der Zeit traf. Auf welche Quellen sich der Maler stützte, ist nicht bekannt. Anzunehmen ist, dass er das Werk «Der Überfall in Nidwalden im Jahre 1798» von Franz Joseph Gut konsultierte, die umfassende Darstellung, die kaum mehr als zwanzig Jahre vorher erschienen war. Zum Kauf angepriesen wurde die Bilderfolge zur Schweizer Geschichte von Jauslin mit den Worten: «Als Zimmerschmuck wie als Zierde für den Tisch wird das Werk jedem Schweizerhause Freude bereiten und den Sinn für die reiche Geschichte des Schweizervolkes sowie die Liebe zum Schweizerlande mächtig fördern.»
zitiert nach: 1798. Geschichte und Überlieferung. Stans 1998, S. 283
Karl Jauslin
Karl Jauslin (1842–1904), Historienmaler, Selbstporträt
Wikipedia
Karl Jauslin zählt zu den bedeutendsten und zugleich wirkungsvollsten Historienmalern der Schweiz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Geboren am 21.5.1842 in Muttenz, gestorben am 13.10.1904 in Muttenz, reformiert, von Muttenz. Sohn des Johannes Jauslin, Landjäger und Korporal. Bau- und Fabrikarbeiter. Lehrling, später Angestellter beim Dekorationsmaler Bernhard Thommen in Basel. Abendkurse an der Basler Zeichnungs- und Modellierschule. 1870–71 Zeichner von Szenen des Deutsch-Französischen Kriegs für Publikationen des Stuttgarter Verlegers Eduard Hallberger. 1871–74 Student an der Stuttgarter Kunstschule. Ab 1874 als Zeichner und für Studien in Wien. Ab 1876 in Muttenz. Anlässlich des 400-Jahr-Jubiläums der Schlacht bei Murten Zeichnung eines 8,5 m langen Leporellos. Illustrator für Zeitschriften, Kalender und Bücher, u. a. für «Die Gründung der Eidgenossenschaft» (1891) von Jacob Kuoni. Maler der «Bilder aus der Schweizergeschichte» (1896).
Historisches Lexikon der Schweiz HLS

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Porträt von General Schauenburg und öffentliche Ehrung in Frankreich

Porträt
Le général Alexis Balthasar Henri Antoine de Schauenbourg, 1748–1831, d‘après un portrait communiqué par son fils
Source www.numistral.fr / Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg
Der Name von General Schauenburg ist auf dem Triumphbogen in Paris verzeichnet, und zwar in der 23. Spalte, eingetragen als «SCHAWEMBOURG»

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Versprechen von General Schauenburg an das Volk von Nidwalden

Die nachstehende Erklärung erfolgte zwei Monate nach dem Fall von Bern am 5. März und vier Monate vor dem Franzoseneinfall in Nidwalden am 9. September 1798:
Brief von Schauenburg
Brief von Schauenburg vom 15. Mai 1798 an die Nidwaldner in französischer Originalsprache
Brief von Schauenburg
Brief von Schauenburg vom 15. Mai 1798 an die Nidwaldner in deutscher beglaubigter Fassung
Freÿheit
Gleichheit

Im general Quartier zu Zürich den 26. floreal (15. Maÿ) im 6. jahr der Ein und unzertheillbaren französischen Republic

Der Oberstbefehlshaber der Armee in Helvetien

Versichert das Volk von Unterwalden unter dem Waldt des Schutzes und der Freündtschaft der französischen Republic und ladet selbes Ein, die besorgnüsse zu stillen, die man Ihme über die freÿe ausübung seines Gottesdiensts, über die Sicherheit der Persohnen und Eigenthumbs etc. eingeflösst hat.

Da dem Oberstbefehlshaber nichts näher am herzen ligt als die wahren Absichten der Französischen Regierung den Einwohneren von Helvetien begreiflich zu machen, so beeifert er sich, dem Volk von Unterwalden unter dem Wald zu bekräftigen, dass seine Persohnen und seine Eigenthümer respectiert werden sollen, dass beÿ ihme keine fränkische Truppen Einrüken werden, als im Fahl dass die ofentliche Ruhe gestöhrt seÿn würde, dass es nicht entwafnet seÿn wird und dass Frankreich niemahls gedacht hat, die Jugend der Schweÿz unter seine Bataillons zu vereinigen. In betref ihr Religion will die französische Republique die gewissen nicht hemmen und selbe lässt jeden Gott nach seiner weise anbetten.

Der Oberstbefehlshaber
Schauenburg

Staatsarchiv Nidwalden, Stans

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General Schauenburg über die Einnahme Nidwaldens am 9. September 1798

«Gegen 6 Uhr abends waren wir vollkommen Herr dieser unglücklichen Gegend (des Tales von Stans), die zum grossen Teil vom Feuer verheert und verwüstet ist. Es war unmöglich, der Wut der Soldaten Schranken zu setzen, weil mehrere ihrer Kameraden auf verschiedenen Posten niedergemacht worden waren. Wir haben viel Leute verloren, was bei der unglaublichen Hartnäckigkeit dieser Menschen, deren Kühnheit bis zur Raserei ging, unvermeidlich war. Mehrere Priester und leider auch eine grosse Anzahl Frauen sind auf dem Platze geblieben. Alles, was Waffen trug, ist getötet worden. Wir haben ungefähr 350 Verwundete. Es war einer der heissesten Tage, die ich je gesehen. Man schlug sich mit Keulen. Man zermalmte sich mit Felsstücken. Man kämpfte auf dem Wasser. Kurz, man wendete alle möglichen Mittel an, um einander zu vernichten. Wir hatten mehrere Tausend [fraglich] Zuschauer, die von verschiedenen Kantonen herzugeströmt waren und deren Haltung desto niedergeschlagener wurde, je mehr wir vorrückten. Ganz Unterwalden ist unterworfen. Ich werde am 26. Fructidor [= 12. September] gegen Schwyz marschieren; wenn es Widerstand leistet, werde ich dort ein ebenso schreckliches Exempel statuieren. Die Papiere, die mir in die Hände gefallen sind, beweisen, dass, wenn wir nicht über diese Wahnsinnigen gesiegt hätten, der Aufstand in kurzem allgemein geworden wäre; alles hing aneinander. Aber die Anstifter sind meist umgekommen. Die Bauern selber, deren Augen endlich aufgegangen sind, bringen mir auch die andern herbei. – Das Helvetische Direktorium hat mich um ein Kriegsgericht gebeten. Wenn unsere Regierung in seine Bitte einwilligt, werden diese Ruhestörer den Lohn empfangen, den sie verdienen. Ich hoffe, dass dies das letzte Stück Arbeit in diesem Kriege gewesen ist. Alle diese Vorfälle sind bejammernswert! Ungerechnet die einzelnen Entwaffnungen, haben wir 12 Kanonen und 6 Fahnen erobert. Der Brigade-Chef Delpoint ist am rechten Arme verwundet. Wir haben mehrere Offiziere verloren!»
Zeiten, Menschen, Kulturen, Band 5. Zürich 1979, S. 133

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Der Verlauf der Operationen des 9. September 1798

«… in Bezug auf die schauervolle Begebenheit am 9ten des Septembers 1798. Dargestellt auf einer Charte und in einer Folge von XIX. Handzeichnungen nach der Natur aufgenohmen von Joh. Heinrich Meÿer.»
9. September 1798 9. September 1798
Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung Ms K 2a

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Bericht von General Schauenburg über seine Tätigkeit am Tag der Entscheidung

«Gemäss Aussagen von gegnerischer Seite hatten die Nidwaldner am 9. September den Eindruck, wir Franzosen hätten ihr Land ‹wie Heuschrecken überschwärmt›. Um zwei Uhr nachmittags machte ich mich in Hergiswil auf, um nach Stans zu gehen und mir ein eigenes Bild zu machen. Einigen Abgeordneten von Schwyz, die um ihren Distrikt baten, wies ich das brennende Stansstad vor Augen und forderte sie ultimativ auf zu kapitulieren – wenn es ihnen nicht gleich ergehen wolle wie den Nidwaldnern.

Um die fast gleiche Zeit, um drei Uhr am Nachmittag, fuhren nun auch die Nidwaldner Patrioten, Freunde der Helvetik, über den See nach Stansstad und kamen in Begleitung einer Wache von ungefähr zwanzig Mann nach Stans. Es waren sieben oder acht Nidwaldner, unter ihnen auch der Distriktsstatthalter. Was sie empfanden, als sie ihre getöteten Väter, Mütter, Brüder, Schwestern und ihre rauchenden Wohnungen antrafen, weiss ich nicht. Einer dieser Patrioten, Klemens Vonbüren, wurde noch denselben Abend nach Luzern geschickt, um dort das erbeutete Kriegsrats-Protokoll und weitere Schriften abzugeben. Auch ich begab mich noch am Abend des 9. September nach Luzern.»

nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 410f.

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Stansstad vor dem Franzoseneinfall 1798

Stans Staad, prés du Lac de Lucerne
«Stans Staad, prés du Lac de Lucerne», Druckgrafik von Stecher Matthias Pfenninger (1739–1813), Zürich, um 1780. Ländliche Idylle. In Friedenszeiten erscheint der Schnitzturm, hier noch mit einem Pyramidendach, eher als freistehender Kirchturm denn als abschreckender Wehrturm. Von den spätmittelalterlichen Befestigungen im See ist nichts mehr sichtbar, die 1798 neu errichteten fehlen noch. Im Vordergrund links zwei typische Segelschiffe, flach und mit breitem Bug, zweckmässig für den Umlad. Auch die Gebinde sind typisch: Fässer und Ballen, wie seit Jahrhunderten im Gebrauch, dazu Säcke. Für den Transport der Waren auf dem Land steht ein wendiger einachsiger Karren bereit. Auch im Ruderschiff vorne rechts werden Güter über den See transportiert. Bis zum Bau der Achereggbrücke 1860 ist der Seeweg die einzige Verbindung aus dem Raum Luzern nach Nidwalden. Hinten deuten aufgehängte Fischernetze auf einen wichtigen Erwerbszweig von Stansstad hin.
Schweizerisches Nationalmuseum

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«Les Ruines de Stanzstad», dessiné le 21 septembre 1798

LES RUINES DE STANZSTAD
Deutsch
Am 5. September besezen die Franken, von dem Oberlande her, den Berg Brünig u. campiren am 6 bey Lungern, am 7. u. 8. Wird, von Hergiswil aus Stans-Stad mit Haubitzgranaten unaufhörlich beschossen, allein das von geist- und weltlichen Betrügern verführte Thal Unterwalden nid dem Kernwald bleibt unerschütterlich. Sontags den 9. [September 1798] geschieht nun der allgemeine Angriff zu Wasser u. zu Land v. 3en Seiten. Ein wüthendes gefecht dauert v. Morgen bis auf den Abend durch das ganze Thal lange mit abwechselndem Glüke. Die Weiber u. Kinder der Unterwaldner streiten verzweifelt mit. Endlich aber müssen sie der grössern Zahl u. der höhern Geschicklichkeit weichen. Die ganzen Dörffer Stansstad und Buochs, nebst einer Menge einzelner Häuser u. Scheünen (zusammen an die 600 Gebäude) sind ein Raub der Flammen. Der Verlust an Menschen zu beyden Seiten gibt man sehr ungleich an. Das übrige furchtbare Detail zu erzählen bleibt der Geschichte überlassen.
En français
Le 5 Septembre les Français venus de l’Oberland occupent le mont Brunig, et campent le 6 prés de Lungern. Le 7 et 8 Stanzstad est attaqué sans relache des obusiers placés à Hergiswyl. Mais le peuple de la vallée de Unterwalden nid dem Wald (sous l’illusion d’un double fanatisme politique et religieux) demeure inébranlable. Dimanche 9 [Septembre 1798] on fait une attaque générale de trois cotés par terre et par eau. Il s’ensuit un combat furieux qui dure depuis le matin jusqu’au soir, dans toute l’étandue de la vallée, et longtemps avec un succés incertain. Les femmes et les enfans des habitans d’Unterwalden luttent ainsi que leurs pères et leurs époux en désésprés. Forcés enfin de céder à la superiorité du nombre et de l’adresse, tout le village de Stanzstad et celui de Buochs, avec un grand nombre de maisons et de granges éparses, en tout 600 bâtimens deviennent la proye des flammes. La perte en hommes est calculée de part et d’autre for differemment. C’est à l’histoire à receuillir les terribles details de cette malheureuse journée.
Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv

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Wer soll gemäss Schauenburg die Verantwortung tragen?

«Die Priester und Regierungen sollen mit ihren Köpfen für die öffentliche Sicherheit haften, und wenn in den Kantonen und Landschaften nicht binnen zwölf Tagen über die Annahme der neuen Verfassung die Urversammlungen zusammengerufen werden, so sollen Priester und Regierungen als Mitschuldige der schon gestürzten Oligarchen angesehen und behandelt werden.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 77

Kanonier Würsch von Emmetten, eingeteilt beim «Zürihund»

«Um dem Feind am meisten zu schaden, haben es sich unsere Scharfschützen zur besonderen Aufgabe gemacht, überall zuerst auf die Hauptleute und Tambouren zu feuern. Ich gelobte so manche Wallfahrt nach Einsiedeln, als Kugeln treffen würden, und ich wurde sechzehnmal verbindlich.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 451
Die Verteidigung von Stansstad
Albert von Escher (1833–1905), Die Verteidigung von Stansstad (Ausschnitt)
Eidgenössische Militärbibliothek, Bern
«Es wurden bereits vor dem 9. Herbstmonat sowohl auf dem Alpnacherried als auf dem Lopperberg zu oberst gegen die Rengg Franzosen getötet, die es wagten auf Nidwaldnerboden vorzudringen oder auf die Unsrigen zu schiessen. Mehrere Tage und Abende hindurch kamen über den See gegen Stansstad und Kehrsiten mit Mannschaft und Kanonen beladene Schiffe und Holzflösse, feuerten los und versuchten die Landung. Sie wurden allemal mit wenig oder viel Schaden und Verlust abgetrieben. Es war bunt zu schauen, wie die französischen Hüte auf dem Wasser herumschwammen, wie es eines Abends ausserhalb Kehrsiten der Fall war, wo es vielen Feinden das Leben gekostet hat.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 451

Geschichte und Geschichten

Das Bild «Die Verteidigung von Stansstad» entstand mehr als hundert Jahre nach 1798. Ausgerüstet sind die Nidwaldner wie Soldaten der Berufsarmee eines europäischen Fürsten. Das widerspricht aller heutigen Annahme. Die Einheimischen zogen in ihrer Alltagskleidung in den Kampf. Dem Maler ging es nicht um Realität, um Alltäglich-Gewöhnliches, sondern um das Eindrucksvoll-Heldenhafte, Denkwürdige. – Tatsache bleibt, dass es den Nidwaldnern gelang, die Franzosen in Stansstad an einer versuchten Landung zu hindern.

Geschichte weiterdenken

Was mag Kanonier Würsch gedacht haben, als er sah, dass die Franzosen nach erfolglosem Angriff vor Stansstad mit ihren Schiffen abdrehten?

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Peter von Matt

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Warum wurde dieses Bild ausgewählt, und wer war der Maler?

Die Verteidigung von Stansstad
Albert von Escher (1833–1905), Die Verteidigung von Stansstad
Eidgenössische Militärbibliothek, Bern, Alte Bestände

Aus der Zeit selber, September 1798, gibt es keine Bildquelle, die den Abwehrkampf der Nidwaldner beim Schnitzturm in Stansstad festhält. Das ist leicht zu erklären. Wie hätten Maler bei diesem Massaker Zeit und Gelegenheit haben sollen, Bilder zu malen! Der Schock sass viel mehr so tief, dass es Jahrzehnte brauchte, dieses Trauma zu überwinden und im Bild darzustellen – mit dem Ergebnis, dass Bild und Realität meist weit auseinanderklaffen. Das Bild «Die Verteidigung von Stansstad» entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, also lange nach dem Franzoseneinfall. Auch das Gemälde auf der Rückseite der Stele beim Schnitzturm, gemalt vom Historienmaler Karl Jauslin (1842–1904), «Sturm auf Stansstad», ist hundert Jahre nach der Echtzeit entstanden.

Bilder, die lange nach einem dargestellten Ereignis entstanden, dürfen wir nicht zum Nennwert nehmen, sondern wir müssen uns fragen: Was konnte der Maler über die damalige Zeit wissen? Was für ein Zeitgeist wehte, als er das Bild malte? Was bewog den Maler zu seiner Sicht der Dinge? Die sogenannten Historienbilder sagen über die Vergangenheit zwar schon etwas aus, aber eben nicht so sehr über die Zeit, die dargestellt ist, sondern viel mehr über die Zeit, in der sie entstanden sind. Deshalb benötigen die Betrachtenden eine besondere «Brille», damit ihr Blick nicht getrübt wird.

Die Szene wird von fünf Nidwaldner Kämpfern beherrscht. Soeben hat eine Artillerie-Granate der Franzosen neben ihnen eingeschlagen. Doch sie lassen solche Gefahr ganz ausser Acht, sind nur auf ihre Aufgabe konzentriert, den französischen Angriff abzuwehren. Alle ihre Gesten weisen Richtung Franzosen, gegen den See hin, auf dem sich am linken Bildrand zwei gegnerische Schiffe nähern, ein Ruderboot und ein Schiff, das mit Segeln bestückt ist. Beim Schnitzturm sind zwei Gefährten näher am Gegner und verstärken die Feuerkraft der Verteidiger in der Wehranlage. Ausgerüstet sind die Nidwaldner Soldaten, als ob sie gerade aus dem Zeughaus der Berufsarmee eines europäischen Fürsten oder Königs kämen. Man könnte sie auf den ersten Blick mit Franzosen verwechseln.

Das ist verwirrlich und hat zu tun mit dem Maler: Albert von Escher, geboren 1833 in Zürich, gestorben 1905 in Genf, ein Amateur-Maler, der sich vor allem militärischen Themen widmete. Er malte Schlachtenbilder und Hunderte von Aquarellen, namentlich «Die schweizerischen Milizen des 18. Jahrhunderts» (160 Aquarelle), «Die schweizerischen Milizen des 19. Jahrhunderts» (530 Aquarelle) sowie «Die schweizerischen Regimenter in fremden Diensten» (200 Aquarelle). Aus diesem enormen Umfang erklärt sich das Stereotype, das den Darstellungen anhaftet und an Katalogen erinnert. Albert von Escher war selber Hauptmann der Schweizer Armee.

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Was weiss man über diese Kanone?

Es dürfte sich um ein spezielles Geschütz handeln, den «Zürihund» oder auch «Feuerhund» genannt, ein leicht konstruierter Mörser aus der Zeit des Dreissigjährigen Krieges (1618–1648). Erfunden wurde das Geschütz von zwei Zürchern. Der «Zürihund» hat ein fahrbares Untergestell, eine zweiräderige Lafette. Das Bodenstück besteht aus Kupfer. Die Eisenringe sind mit Seilen umwickelt, die man mit einer zementartigen Masse umpappt hat.
Lafette des «Feuerhunds»
Lafette des «Feuerhunds», der ehemals zum Bestand des Zürcher Zeughauses gehörte; heute Waffensammlung des Landesmuseums
Schweizerisches Nationalmuseum Zürich
Kanonen mit der Bezeichnung «Feuerhund» oder «Feuerkatze» sind meistens mit Leder eingefasste Geschütze mit Kaliber unter 12 Pfund. Die von Escher gemalte Kanone dürfte aus dem 18. Jahrhundert stammen und ist von der Grösse her mindestens ein 12- oder 24-Pfünder. Nidwalden war kein klassischer Artillerie-Kanton, hatte keine Geschütze zum eidgenössischen Kontingent zu stellen. Das heisst allerdings nicht, dass es in Nidwalden keine Geschütze gab.
nach Informationen des Schweizerischen Nationalmuseums Zürich
Kanonenrohre unterschiedlichen Kalibers
Kanonenrohre unterschiedlichen Kalibers, wie sie ähnlich beim «Zürihund» zum Einsatz kamen (vgl. das Gemälde von Albert von Escher)
Schweizerisches Nationalmuseum Zürich

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Ergänzender Bericht des Klemens Würsch, Kanonier beim «Zürihund»

«Die Franzosen taten zwar gross auf ihren Schiffen und Flössen, aber sie wussten genau, wie hoch der Preis sein würde, sollten sie den Hauptkampf in Stansstad vom See her führen. Kamen sie jeweils etwas näher, wurden sie jedesmal von unseren drei Nidwaldner-Batterien zurückgeworfen. Bei einem solchen Versuch der Franzosen schossen wir bis auf drei Mann alle auf dem Flosse weg. Möglich wurde das durch die Musketen-Schützen vom Wachtturm her.

Wir mussten mit allen Mitteln verhindern, dass die Franzosen hier landen konnten. Stansstad war das Einfallstor nach Nidwalden, nach Stans, und dorthin wollten unsere Gegner: in den Hauptort. Dort sollte der Freiheitsbaum wieder aufgerichtet werden, den unsere Leute entfernt hatten. Es gelang uns die Schiffe und Flösse der Franzosen abzudrängen, gegen Kehrsiten zu. Dort hinten war eine Landung zwar eher möglich, aber wir hofften, der Bürgenberg sei unser Verbündeter, der steile Hang ein natürliches Bollwerk.»

nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 408

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Hinweise auf die wirkungsvolle Abwehr in Stansstad

«Zum Beweise, dass die Franken schon vorläufig zu Wasser viele Leute eingebüsst haben mussten, mag die Thatsache dienen, dass es äusserst hart wurde, in Luzern und Umgebung Schiffleute zu bekommen, und dass sich die Milizen selbst weigerten, auf den Flössen und in den Schiffen sich brauchen zu lassen. (…) Man sah wie die Kanonenkugeln von Stansstad aus besonders jene des Zürihundes ganze Reihen Soldaten in den See hinausschlugen.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 451

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Ausgebaut 1798: die mittelalterliche Befestigungsanlage

Der Palisadengürtel vor Stansstad ist eindeutig ein Bauwerk aus dem Spätmittelalter. In der Quelle, die hier für das Jahr 1538 eine Sust bezeugt, also einen Warenumschlagplatz, ist von diesem Palisadengürtel nicht mehr die Rede. Das bedeutet, dass das Befestigungswerk aus der Zeit vor 1538 stammen muss. Als sich die Nidwaldner 1798 auf einen Angriff der Franzosen vorbereiteten, wurden die Reste der spätmittelalterlichen Abwehranlage offensichtlich derart verstärkt, dass den Franzosen hier die Landung nicht gelang. Massives Feuer aus dem Schnitzturm trug zweifellos zur erfolgreichen Abwehr bei.
Mittelalterliche Befestigungsanlage vor Stansstad
Mittelalterliche Befestigungsanlage vor Stansstad. Situation in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
Staatsarchiv Nidwalden: Fachstelle für Archäologie; Illustration: Joe Rohrer, Luzern

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Herausgegriffen – das Schicksal einer Frau: Veronika Flühler

«Veronika Flühler, Frau des Valentin Curti sel., 40 Jahre alt, Wittwe, Wirthin auf der kleinen Mühle, wo viele Landestruppen logirten, eine brave Person, wurde von den Feinden zuerst ganz beraubt, hernach sogar entkleidet und um ihre Ehre angefochten. Sie wehrte sich mannlich und erhielt dann im kleinen Stüblein von einem gemeinen Soldaten einen Schuss in‘s Herz, worauf sie todt zur Erde fiel.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 48

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Der Verlauf der Operationen am 9. September 1798

9. September 1798
1 Angriff auf St. Jakob in Richtung Allweg. 3 Grenadier-Kompanien der 44. und 106. Halbbrigade. Reserve: 2 Bataillone der 106. Halbbrigade Artillerie, 1 Husarenschwader
2 Rechter Flügel, Angriff in Richtung Ächerlipass, 1 Bataillon 5. Leichte Halbbrigade, 1 Bataillon 44. Halbbrigade
3 Linker Flügel, Angriff über den Mueterschwandenberg in Richtung Allweg. 14. Leichte Halbbrigade
4 Verschiebung nach Zingelsteinbr. und Harrissen, zum Angriff auf Stansstad. 1 Bataillon 106. Halbbrigade
5 Verschiebung nach Kehrsiten und Angriff auf den Bürgenstock. 1 Bataillon 106. Halbbrigade
6 Verschiebung Kolonne Lecorps nach Kägiswil
1 Verschanzung St. Jakob
2 Verschanzung vor Ennetmoos
3 Verschanzung Allweg
4 Verschanzung Stansstad
5 Stellung Lopper
6 Stellung Bürgenstock
7 Rückzug aus Stans
8 Rückzug der Schwyzer vom Allweg
9 Stellung auf dem Ächerlipass
Karte und Legende aus: 1798 – Geschichte und Überlieferung. Stans 1998, S. 126f. Die militärischen Operationen wurden von Benoît de Montmollin 1997 auf eine alte Karte übertragen.

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Aus dem Tagebuch von Joseph Käslin 1797–1802, Corporal in englischen Diensten

«Die Franken zogen allenthalben an unsere Grenzen. Von Bern zog eine Colonne über den Brünig und nachete sich der March; die andere rückte über die Rengg gegen Alpnach und die dritte von Luzern und Winkel auf schwimmenden Batterien gegen Stansstad und Kirsiten an. Ihre ganze Stärke wurde auf 18‘000 Mann gerechnet, unter dem Obercommando von General Schauenbourg, welcher trotzig unser Land zur Übergabe auffordern und im Verweigerungsfahl Mord, Brand und Plünderung ankinden liess.

Wir achteten weder Drohungen noch Schmeicheleyen. Aber welch eine ungleiche Stärke, 2‘000 gegen 18‘000 Mann geübte Krieger, mit allem versechen, was ein Soldat nur braucht; hingegen wir sparsam mit Bley und Pulver versehen, nicht mehr dann 8 Kanonen, wovon 3 in den Schanzen von Stansstad, 2 auf dem Allweeg, 1 Feldschlange und 2 Falkonen in Kirsiten, 1 Kanone in der Schanze an der Naas und 1 Kanone endlich in Reserve auf einem Schiffe in Beckenried, die Naas zu decken.

Die Mannschaft wurde nach Laage der Posten vertheilt: An der March stunden 1‘000 Mann, wo noch 160 Mann Schweyzer und 30 Mann Urner Hilfstruppen stunden, auf dem Allweg 2 Compagnien, auf dem Mieterschwanderberg 1 Scharfschitzen- und 1 Füsilier-Compagnie, auf dem Posten Grossächerli 50 Mann, zu Stansstad 3 Compagnien, im Kirsiten 1 Kompagnie, an der Naas 30 Mann und etwas zu Buochs und Bekenried in Reserve.

Die Scharmützel und Blänckereyen wurden schon den ersten September angehoben. Täglich erneuerten sie die Attaquen bis den 9. Herbstmonat bey der March, Stansstad, als gegen Kirsiten wurden allemal mit Verlurst zurückgeworfen; ihre Flotten und See-Batterien mit schwerem Geschitz beladen, wurden bei Annäherung von unsern Kanonen in Grund gebohrt, die Mannschaft auf den Fahrzeigen weggeschossen; ehe der 9. Herbstmonat anrückte, verlohren die Franken in verschiedenen Attaquen 600 bis 700 Mann, und einige ihrer besten Officiere.

Da sie sahen, das[s] ohne schweren Verlurst sie Unterwalden nicht bezwingen konnten, versuchten sie es noch einmal und schickten einen Tambour und Officier mit einer Staffette (Schreiben) vom General, um sich zu ergeben und das Land nicht unglücklich zu machen. Allein der Staffettentrager wurde zu Stansstad, ohne ihm seine Stafette abzunehmen, von dem wachthabenden Offizier zurückgewiesen; welches aber durch den Kriegsrat an dem Officier gea[h]ndet wurde.

Endlich brach der 9. September an, welcher das Schicksal von Unterwalden entschied. Noch ehe der Tag die Nacht verscheuchte, begann schon auf allen Puncten das mörderische Gefecht. Der Donner der Kanonen, welcher auf allen Puncten geschah, war das Signalement des Angriffes. Bey der March, als dem Centrum, stürmte die Schwarze Legion und die Grenadiers, der Kern der Fränkischen Truppen, auf die Unsrigen los. Die Kanonen donnerten Verheerung, und das wilde Zettergeschrey der stürmenden Franken wurde auf pa[a]r Stunden weegs hörbar. Die Unsrigen stemmten sich mannhaft dem weit überlegnen Schwarm entgegen, konnten aber auf diesem Posten dem Feind nicht länger wiederstehen, weil das Kartetschen Feuer, das auf sie geschache, viel Volks sie gekostet hätte. Sie zogen dahero von der March ab und retirierten dem Allweeg zu. Als die 2 Compagnien auf dem Mieterschwanderberg die Retirade [Rückzug] von der March sachen, zogen auch diese zurück und suchten den Rotzberg zu besetzen.

Bey Stansstad und Kirsiten wurden die feindlichen Flotten, die geschwaderweise daherschwammen, durch unsere Kanonen zerschmettert und mit Verlust zurückgejagt. Endlich gelang es ihnen bey Kirsiten zu landen, wo sie die Häuser und Scheuren in Brand stekten; die Unsrigen zogen auf den Bürgen und fassten Posten auf dem Tritt genannt, wo sie mit Steinen die annahenden Francken den Berg hinabwarfen. (…)

Auf allen Punkten wurde mit der äussersten Hartneckigkeit gestritten, die Franken aus Stolz und Raubsucht, die Unsrigen für Religion, Weib und Kinder und das edle Kleinod, für die Freyheit.»

Aus dem Tagebuch von Joseph Käslin, Corporal in englischen Diensten, über die Ereignisse von 1797 bis 1802, welche die fränkische Revolution zu Grunde hat, Staatsarchiv Nidwalden (sprachlich leicht angepasst)

9

«So wurde Stansstad vom Lande und nicht vom Wasser her genommen»

«In der Kapelle zu Stansstad betete noch das Volk, als die Feinde aus dem Rotzloch sich schon näherten. Der dort von der Kanone weichende Alois Stulz mahnte zur Flucht, aber einige kamen auf selber bereits um. So wurde Stansstad vom Lande und nicht vom Wasser her genommen. Die Franzosen waren jetzt mit Wegräumung der Pallisaden, die ihnen viel zu schaffen gaben, begriffen. Die Schiffe und Flösse hielten auf dem See vor denselben an. Vom Gestade hinaus und an dieses vom See hinein, wurde fürchterlich gelärmt, geflucht und befehligt. Als nun die Schiffe und Flösse ruhig gelandet und die Mannschaft ausgestiegen, fiel alles zuerst auf die in der dortigen Sust sich befindlichen Branntweinfässer hin und begrüsste sie so sehnlich, dass es furchtbare Wirkungen absetzte. Diese Völlerei-Scene kam selbst bei den gesetzgebenden Behörden zur Sprache. Die Kanonen wurden theils in des Zollers Matten, theils in Franz Rothenfluo‘s Feld hingebracht und aufgepflanzt. Stansstad wurde beinahe ganz abgebrannt. Die Welschen wurden vom Branntweine und die Gebäude vom Feuer angezündet. In Folge dessen verübte man entsetzliche Grausamkeiten.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 409f.

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Josef Ignaz Wammischer (1742–1819), Distriktsstatthalter von Stans, erklärt, dass Mässigung und Toleranz damals kaum gefragt waren

«Vorerst war ich Arzt in Sarnen, dann in Stans. Ich kannte sozusagen beide Seiten. Die Obwaldner stimmten ja 1798 der helvetischen Verfassung zu. Mehrmals vertrat ich Nidwalden an Jahrrechnungen in Bellinzona und Lugano, in den Untertanengebieten, die von den Eidgenossen gemeinsam verwaltet wurden. Ab 1787 war ich Landesfürsprech, danach Landvogt in Blenio und stieg in Nidwalden zum Landesstatthalter auf.

Bereits vor der Französischen Revolution, in der Aufklärung, erkannte ich, dass sich in der Eidgenossenschaft etwas ändern müsse, grundlegend. Dass der Mensch von Natur aus frei sei, mit angeborenen Rechten, die er nicht mehr verlieren kann, leuchtete mir ein, ebenso die Folgerung, dass alle Menschen gleich seien. Allerdings war mir auch klar, dass man die Verhältnisse nicht mit einem Kraftakt über alle Köpfe und Traditionen hinweg ändern könne. So war ich 1798 sozusagen gemässigt helvetisch gesinnt und wurde zum Distriktsstatthalter ernannt. Gegenüber den «Vaterländern», den Anhängern der alten Ordnung, blieb ich tolerant. Das passte Kantonsstatthalter Alois von Matt nicht. Schon Ende Juli 1798, nach wenigen Monaten, zwang er mich zum Rücktritt. Nach dem Einmarsch der Franzosen am schrecklichen 9. September war dann wieder vermehrt Ausgleich gefragt. 1799 wurde ich erneut Distriktsstatthalter und im Winter 1802/03 vertrat ich den nach Paris berufenen Ludwig Kaiser sogar als Regierungsstatthalter. In der darauf folgenden Mediationszeit (1803–1814) und in der Restauration (1815–1830) hatte ich allerdings keine politischen Ämter mehr.– Ich weiss nicht, ob mein Weg der richtige war. Vielleicht hätte ich mehr Gemässigte und Tolerante gewinnen müssen, um die Katastrophe abzuwenden. Aber das war in dieser aufgeheizten Stimmung fast nicht möglich.»

nach 1798 – Geschichte und Überlieferung. Stans 1998, S. 362

11

Die Kunst der gerechten Erinnerung

«Sobald Schüsse fallen, wird die Welt einfacher. Sobald Menschen einander auf Sichtweite gegenüberstehen, um sich gegenseitig zu töten, verschwinden alle Widersprüche. Man war in Probleme verstrickt, sie sind gelöst. Man hat sich mit Fragen herumgeschlagen, sie sind beantwortet. Die tägliche Last, wissen zu müssen, was man soll und was man will und was man wollen soll und was man sollen will, rutscht von den Schultern, als wäre sie nie gewesen. Man will nur noch eins, töten, man soll nur noch eins, töten, und nichts anderes mehr ist von Bedeutung.

Dort sind die Feinde, hier sind die Brüder, und die Wahrheit ist bei uns und bei den andern regiert die Lüge.

Die Vereinfachung der Welt im Feuer der Kanonen und Kartätschen, im Kugelhagel der Scharfschützen, im Anrennen mit dem blanken Bajonett beendet die Suche nach der Wahrheit. Sie beendet also das, was den Menschen erst zum Menschen macht. Das Tier kennt keine Wahrheit. Es ist wahr. Es lebt seine Natur, wenn es tötet, und es lebt sie, wenn es gefressen wird. Der Mensch aber muss die Wahrheit suchen und hat sie nie, und wenn er meint, sie zu haben, kommt sicher einer daher, der sie ihm wegbeweist. Solange er weitersucht, bleibt er menschlich; sobald er damit aufhört, wird er gefährlich.

Deshalb gilt der Satz in doppelter Weise. Wo das Kartätschenfeuer losbricht, endet die Suche nach der Wahrheit. Wo die Suche nach der Wahrheit endet, bricht früher oder später das Kartätschenfeuer los.

Am 9. September 1798 sind hier Schüsse gefallen, in diesem Kanton, in diesem Flecken, in dieser Kirche [in Stans, siehe Quellenangabe]. Das Feuer der Kanonen und Kartätschen hörte man bis in die Stadt Luzern, den neuen Sitz der helvetischen Regierung. Diese hatte den Befehl zum Schiessen und Stechen gegeben. Der Krieg war ein Bürgerkrieg. Auch wenn die angreifenden Truppen Franzosen waren unter einem französischen General, war der Krieg doch ein Bürgerkrieg. Einer der vielen Bürgerkriege in der Geschichte unseres Landes, von denen wir nicht gerne reden. Wir verstehen uns lieber als das Land, wo alle so gut miteinander auskommen, die Sprachen, die Religionen, die Kulturen, und dass wir bisher noch in jedem Jahrhundert blutig aufeinander losgegangen sind, möchten wir gerne nicht weiter diskutieren.

Die Schüsse sind gefallen, die Kartätschen haben gekracht im Namen der Aufklärung, im Namen der Menschenrechte, im Namen der Freiheit, der Gleichheit, der Brüderlichkeit und der Toleranz. Die Schüsse sind gefallen und die Kartätschen haben gekracht im Namen Gottes, im Namen des angestammten Glaubens, im Namen des Rechts auf politische Selbstbestimmung gemäss den alten Freiheiten. Da stand Wahrheit gegen Wahrheit, eine so felsenfest gegründet wie die andere, jede erlebt im innersten Herzen, und wer zweifelt, ist schon ein Verräter. Nicht länger gesucht werden musste die Wahrheit, sie war gegeben, ein für allemal, und also wurde es gefährlich, und es wurde das Feuer eröffnet morgens um 4 Uhr 30.»

Peter von Matt: Die Kunst der gerechten Erinnerung, in: Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. München Wien 2001 (Hanser), S. 86–95, hier S. 86
Diese Rede wurde gehalten am 9. September 1998 in der Pfarrkirche Stans an der Gedenkfeier zum Kampf des Kantons Nidwalden gegen die französischen Truppen am 9. September 1798, in Anwesenheit der Delegierten des Bundesrates, der Parlamente und der Kantonsregierungen.

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1798 – im Kern von Schweizern gewollt und von Schweizern gemacht

«Die Revolution von 1798, die im Kern von Schweizern gewollt und von Schweizern gemacht, von Schweizerinnen mitgewollt und mitgetragen wurde, entsprang der gewaltigsten Einsicht der Zeit: dass dem Menschen sein Denken nicht befohlen werden kann. Von diesem Blitz, der durch das Gehirn des Jahrhunderts zuckte, leitet sich alles andere her: die Idee der gleichen Rechte, und dass keiner von Geburt oder Geld aus Herr sein darf über den andern, und dass einer, der es trotzdem sein will, abfahren muss. Im Ja zu diesen Grundsätzen, zur Gerechtigkeit aufgrund der Menschenrechte, ist 1798 ein Teil unserer aktuellsten Gegenwart.»
Peter von Matt: Die Kunst der gerechten Erinnerung, in: Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. München Wien 2001 (Hanser), S. 79–85, hier S. 84.
Diese Rede wurde gehalten am 17. Januar 1998 an der Gedenkfeier «200 Jahre moderne Schweiz» in der Stadtkirche Aarau (Kanton Aargau) vor dem versammelten Schweizer Bundesrat, den Vertretungen beider Parlamente und den Delegierten aller Kantonsregierungen.

13

Zweimal Schnitzturm – einmal mythenhaft, einmal touristisch

9. September 1798
Der Schnitzturm 1818 – im Dienst mythischer Heldengeschichte
Verteidigung des Wachturms bei Stansstad und Plankarte des habsburgischen Feldzugs im Rahmen der Schlacht am Morgarten 1315. Druckgraphik, Zürich, um 1818.
Schweizerisches Nationalmuseum Zürich
9. September 1798
Der Schnitzturm 1950 – im Dienst touristischer Propaganda
Plakatwerbung für das Hotel Winkelried in Stansstad am Vierwaldstättersee. Karton, bedruckt, Meiringen um 1950.

Schweizerisches Nationalmuseum Zürich

14

Zum Flurnamen Schnitzturm

Stelle am Vierwaldstätter See mit einem mittelalterlichen Turm, der zur alten Seebefestigung von Stansstad gehört. Der Turm gehörte zu zwei Dritteln Obwalden und zu einem Drittel Nidwalden. Der Hinweis eines Gewährsmanns, dass eben nur ein Schnitz des Turmes den Nidwaldnern gehöre, muss durchaus ernst genommen werden. Es ist nämlich nirgends nachgewiesen, dass man in diesem Turm zum Beispiel Schnitze, gedörrte Birnen oder Äpfel, aufbewahrt hätte. Vielmehr sei darauf hingewiesen, dass schweizerdeutsch Schnitz auch Schnitt im Sinne von abgeschnittenes Stück, Teil bedeutet und deshalb gut für die volkstümliche Benennung eines Gebäudes, das unter zwei Körperschaften aufgeteilt ist, passt. Wachtthurm benennt den Turm nach seiner einstigen Funktion im Rahmen der Bewachung des Hafengeländes. Der Name Schnitzturm muss im 19. Jahrhundert aufgekommen sein und hat allmählich die übrigen Benennungen verdrängt.
nach Hug Albert / Weibel Viktor: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar, in 5 Bänden. Stans 2003

15

«Der Schnitzturm hat es nicht leicht»

Unter diesem Titel berichtete das Nidwaldner Tagblatt am 13. November 1990 über das Projekt einer Teil-Restaurierung des Stansstader Schnitzturms. Es ging um einen Kredit von 240‘000.- Franken, mit dem eine Treppe und eine Aussichtsplattform gebaut sowie die Aussenfassade renoviert werden sollten. Vom Kanton Obwalden erhoffte man sich einen Beitrag von 280‘000.- Franken. Bei dieser Gelegenheit wurde unter anderem von Josef Fühler-Martinez vorgeschlagen, dem Schnitzturm sein früheres Dach wieder aufzusetzen. Der Initiant liess sich dabei anregen vom «Gedicht zum Schnitzturm», das 1855 im «Nidwaldner Wochenblatt» erschienen war und 1879 im «Nidwaldner Volksblatt» erneut veröffentlicht wurde, als über die Restaurierung des Turms gestritten wurde.
Gedicht zum Schnitzturm

Einsam an des Ufers Strande
Steh ich ohne Dach und Fach
Fast vergessen von dem Lande,
Das ich barg vor Ungemach.

Als in alten fernen Zeiten,
Jung und klein der Schweizerbund,
Hart bedroht mit Krieg und Streiten,
Baut man mich auf tiefem Grund.

Stellte mich als erste Wehre,
Gegenüber Oestreichs Macht,
Manche halbvergessne Mähre,
Zeugt von meiner treuen Wacht.

S’kam einst eine «Gans» geschwommen,
Von Luzern des Herzogs Stadt,
Hätt’ dieses Ländchen gern genommen,
doch ihr’s schlimm bekommen hat.

Einen Mühlstein hoch erhoben,
Schüttelt’ ich auf sie herab,
Hei! Wie ihre Federn stoben!
Und sie fand ein nasses Grab.

Und der Friede kehrte wieder,
Und an das beschützte Land,
Schloss sich bis zum Rheine nieder,
Bis hinauf zum Rhodan Strand.

Jetzt ein Kranz von Bundestreuen,
Hielten Krieg und Fehde fern.
Und ich konnt’ mich lange freuen,
Ob des Landes gutem Stern.

Fünf Jahrhunderte verflossen,
Sieh da kam der Franken Heer,
Hielt das kleine Land umschlossen
Und bekämpft es hoch und schwer.

Rings um mich nun Tod und Schauer,
Doch zu meines Landes Schutz,
Bot nochmals ich Altersgrauer,
Fremder Waffe furchtlos Trutz.

Doch umsonst, der fremde Krieger,
Mehr durch Freundes Wankelmuth,
Als durch eigne Kräfte Sieger,
Stieg an’s Land mit wilder Wuth.

Stiess das kleine Dorf in Flammen,
Das in meinem Rücken ruth,
Brannte Hab und Gut zusammen,
Und auch mich erfasst die Gluth.

Wollt’ kein anders Loos besitzen
Als die Meinen nah und fern,
Konnte ich sie nicht beschützen,
Starb ich taun von Herzen gern.

Wieder folgten stille Zeiten,
Und das Land erholte sich,
Haus und Hütten sich erneuten,
Niemand aber dacht an mich.

Mich des Landes einstigen Retter
Gab man der Zerstörung hin
Und es seh’n des Landes Väter
Meinen Fall mit leichtem Sinn.

Wenn ein Bäurlein schwer beladen
Mit der Zinsen harter Wucht
Im Zerfall von Haus und Gaden
Seine letzte Rettung sucht.

Wie gesetzeseifrig, schnelle,
Abzuwenden diese Noth,
Eilt zu der bedrohten Stelle
Des Gemeinderaths Gebot!

Doch der Thurm am Seesstrande,
Zweier Staaten Eigenthum,
Eine Zierde seinem Lande,
Fällt – und Niemand rührt sich d’rum!

Im Jahr darauf, 1880, doppelten junge Stansstader im «Nidwaldner Volksblatt» nach: «Will’ denn wirklich Niemand, weder Ob noch Nidwalden, dem altersschwachen Greisen ‹Wachtthurm› am Gestade von Stansstad seine Lebensdauer verlängern helfen? Es ist wirklich jetzt schon gefährlich, sich in der Nähe der Ruine längere Zeit aufzuhalten, indem nicht selten Steine sich von derselben losreissen.»

Dazu liessen auch sie den Turm zu Wort kommen, nicht mehr in Gedichtform, sondern in einem beherzten Aufruf in Prosa: «Unbarmherzige Unterwaldner, wollt Ihr mich denn vom Zahne der Zeit ganz zu Grunde richten lassen! Gedenkt Ihr nicht mehr jener Tage in den Jahren 1315, als das österreichische Schiff ‹Gans›, stark bemannt mit Luzernern, das Land überrumpeln wollte, und 1798, als Ihr so schrecklich von den Franzosen heimgesucht wurdet! Habe ich nicht Euretwegen im Überfall das Schmerzlichste gelitten? Bin ich zur selben Zeit nicht Euertwegen so schrecklich durch’s Feuer misshandelt worden? Unterwaldner, kommt mir zu Hilfe! Wollt Ihr dies nicht, dann ist mein Schicksal entschieden, ich sinke in kurzer Zeit in’s Grab!»

Angaben von Rafael Schneuwly, Mitglied der Kulturkommission Stansstad sowie der Projektgruppe

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Warum sind Nidwalden und Obwalden «verfreundet»?

Warum sind Nidwalden und Obwalden «verfreundet»