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Kirche Obbürgen

Kirche Obbürgen

Obbürgen liegt auf einer Hochebene des Bürgenstocks und ist wie Kehrsiten ein Gemeindeteil von Stansstad. Die Franzosen, die von Hüttenort und Kehrsiten über den Grat nach Obbürgen vordrangen, verschonten den Vorgängerbau der heutigen Kirche noch, als sie auf Knien darum gebeten wurden. Als ein weiterer Trupp von Stansstad her Obbürgen erreichte, half kein Bitten mehr. Das Kirchlein und das Pfrundhaus wurden zerstört.
Kirche Obbürgen
➛ Philippe Talard
➛ Ratsherr Joseph Franz Flühler

Philippe Talard

«Die Geistlichen haben zum Widerstand aufgerufen. Nun sollen sie die Verantwortung für die Toten übernehmen.»
fiktive Aussage aufgrund mehrerer Quellen
Kämpfende Frau 1798 in einer Kapelle in Stans
Kämpfende Frau 1798 in einer Kapelle in Stans, um 1850 (Ausschnitt)
Nidwaldner Museum, Stans
«Im Feurigenhause auf Obbürgen lagen ganze Haufen geflüchtetes Geld von Stans, Stansstad und so fort, das nun in unsere Hände fiel. Auch den Kirchenschatz von Stans hatten die Nidwaldner versteckt, einen Teil davon in Hätschenried hier auf Obbürgen. Aber das half dem Gegner nicht. Am 9. September verlangten wir die Herausgabe des ganzen Schatzes.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 400 und 153

Geschichte weiterdenken

Was überlegt die Frau auf dem Bild?

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Überlegungen zur Erinnerungskultur in Nidwalden

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Kommentar zum Bild

Kämpfende Frau 1798 in einer Kapelle in Stans
Kämpfende Frau 1798 in einer Kapelle in Stans, um 1850
Nidwaldner Museum, Stans

Der konkrete historische Aussagewert dieses Bilds für die Ereignisse von 1798 in Obbürgen ist zwar sehr beschränkt, denn der Steindruck (Lithografie) ist fünfzig Jahre später entstanden und bezieht sich erst noch auf Stans. Dennoch könnte man sich entfernt eine solche Szene auch in der damaligen Kapelle von Obbürgen vorstellen. Dass das Kirchlein allerdings von lauter Frauen verteidigt wurde, ist doch unwahrscheinlich. Vielmehr dürfte es sich wie bei anderen ähnlichen Darstellungen, etwa im Zusammenhang mit den Kämpfen beim Allweg, dem Künstler vor allem darum gegangen sein, den Anteil der Frauen an diesem Widerstand gebührend zu würdigen.

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«Unbedingter Wahrheitsbesitz mit allen tödlichen Konsequenzen»

«Zwei Figuren von seltsam pittoresker Natur verkörpern diese Haltung des unbedingten Wahrheitsbesitzes mit allen tödlichen Konsequenzen. Sie sind die Chefideologen der beiden Parteien, berühmt, berüchtigt, gehasst und verehrt weit über ihre Lebenszeit hinaus. Der eine wurde später zum Heiligen der säkularisierten Schweiz und steht heute in dieser Funktion und nach sakralem Muster gestaltet auf einem hohen Sockel an der Zürcher Bahnhofstrasse, in Erz gegossen: Johann Heinrich Pestalozzi. Der andere war ein geistlicher Volkstribun barocken Zuschnitts, ein Kapuziner von tobender Gottesgewissheit und eine Kriegsgurgel ohnegleichen, Pater Paul Styger, der am Tag der Schlacht auf einem weissen Hengst im Husarensattel die Front entlangsprengte, segnete, betete, eigenhändig die Kanonen richtete und als Scharfschütze zahlreichen Franzosen persönlich zur frühzeitigen Seligkeit verhalf. Pestalozzi erliess vor dem Einmarsch in Nidwalden einen Aufruf an das Schweizervolk, sich mit der Landesregierung in allen Massnahmen gegen diese «Landesaufwiegler», «Landesverräter» und «Verbrecher» in den Bergen zu solidarisieren, und zur Beruhigung versprach er, das Vaterland werde die zu erwartenden Witwen und Waisen grossherzig betreuen. Die Schüsse sind also gerechtfertigt im voraus. Pater Paul Styger wiederum betrieb die religiöse Propaganda. Er verfocht als Redner und Reiter, Einflüsterer und Guerillero die untrennbare Einheit von Glaube und Politik, Kirche und Staat. Das Heilige darf vom Weltlichen nicht geschieden werden, und wer dies vom Volke fordert, ist ein Verräter an den höchsten Gütern. Die Schüsse sind gerechtfertigt im voraus.»

Peter von Matt: Ausschnitt der Rede, gehalten am 9. September 1998 in der Pfarrkirche Stans an der Gedenkfeier zum Kampf des Kantons Nidwalden gegen die französischen Truppen am 9. September 1798 in Anwesenheit der Delegierten des Bundesrats, der Parlamente und der Kantonsregierungen. (Zitiert nach: Peter von Matt. Die tintenblauen Eidgenossen. Über die literarische und politische Schweiz. München Wien 2001, S. 86-95).
Paul Styger
Porträt des Kapuziners Paul Styger, 1802 gemalt von einem sonst unbekannten Künstler namens Ferracuti. Styger liess sich offensichtlich bewusst mit Pistole, Schwert und Kruzifix malen.
Bernisches Historisches Museum

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Aus Schaden anderswo klug geworden – letztlich dennoch ohne Erfolg

«Als man sah, wie in Bern, Freiburg und Solothurn auch die Freunde der Konstitution [Verfassung] von den Franzosen bestohlen wurden, so fürchteten Viele, dieses dürfte um so mehr in Nidwalden geschehen und flöckten desswegen. Um die gleiche Zeit wurden in Stans vom Kirchenrathe 4 Männer ausgeschossen [beauftragt], den Kirchenschatz zu versorgen [verstecken], der aber nach der Kapitulation auf die [Kirchen-] Feste und auf den Frohnleichnamstag wieder hervorgenommen worden war. Von diesem Schatze ist noch Folgendes zu merken: Wie am 9. Herbstm. der selbe ganz geraubt und später der damalige Kirchmeier Bonaventura Lussi von den Patrioten um den Schaden belangt werden wollte, wies er sich durch den Herrn Kaplan Xaver Rothenfluo eidlich aus [schwor mit einem Eid], dass er denselben zur rechten Zeit zu retten antrug [versuchte], ihm aber solches verwehrt wurde.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 153f.

Ratsherr Joseph Franz Flühler, in der Widen

«Ich fiel vor der Kapelle auf die Knie und bat um Erhaltung des Kirchleins, teilte den Soldaten Geld aus und erhielt anfänglich Schonung.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 403
Vaterunser eines Unterwaldners
Obbürgen im Jahre 1906. Eine Kapelle bildet das Zentrum einer ländlichen Streusiedlung.
Postkarte, ehemals Verlag Karl Engelberger, Stans
«Die ersten Franzosen, die von Kehrsiten her über den Schiltgrat kamen, verschonten das Kirchlein auf meine Bitte hin. Als danach ein Trupp Franzosen von Stansstad anrückte, nützte kein Flehen mehr. Die vom Branntwein erhitzten Soldaten töteten ohne Rücksicht, wer sich ihnen entgegenstellte, und zündeten alles an, das Kirchlein samt dem Pfrundhaus.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 403

Geschichte weiterdenken

Wer oder was könnte den Ausschlag gegeben haben, dass sich der erste Trupp Franzosen mit Geld von der Zerstörung der Kirche abhalten liess, der zweite aber nicht?

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Überlegungen zur Erinnerungskultur in Nidwalden

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Ein ehrenvoller Nachruf auf Joseph Franz Flühler, Widen, Ratsherr

Hier das vollständige Zitat dieser Wegmarke zu den Ereignissen von 1798:

«Hr. Rathsherr Joseph Franz Flühler, 56 Jahre alt, in der Widen [Obbürgen], Mann der Dorothea Lussi, Vater zweier Töchter und eines Sohnes (Franz Joseph), der erst nach seinem Tod geboren wurde, ein herzensguter Mann und für das Wohl der Gemeinde besorgt, stund am 9. Herbstmonat [September] bei der Wolfsgrube (vielleicht als Anführer) und half dort Steine bewegen. Er ging nach Haus, und wie die ersten Franzosen von der Wolfsgrube herkamen, gab er ihnen Geld und rettete damit die Kapelle, Häuser und Gebäude, indem sie über den Berg zogen. Als aber die vom Branntenwein erhitzten Feinde von Stansstad hinaufkamen, wagte er den gleichen Versuch, fiel beim Pfrundhause sogar auf die Knie und bat für die Kirche. Sie gaben ihm einen Schuss in den Kopf, zündeten Kapelle und Pfrundhaus an. (…) Seine Ruhestätte wird jetzt noch durch die dortige kleine Landtiefe angedeutet und vorgewiesen. Knab Kaspar Waser, des Sigersten, steckte ihm ein Kreuz auf das Grab.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 49f.

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Kaspar Joller – Ein Knabe rettet Leben

Nachfolgend die Geschichte der Elisabetha Odermatt und des achtjährigen Buben Kaspar Joller, der zuerst ein viermonatiges Kleinkind aus dem brennenden Haus rettete, dann den fünfjährigen Knaben der Elisabetha Odermatt. Der kleine Retter wurde später Priester und starb als Pfarrer in Rüti im Kanton St. Gallen.

Der Bericht der Zürcher Hülfsgesellschaft ist eine drastische Schilderung der Ereignisse am 9. September 1798. Das Drama kann sich durchaus so zugetragen haben, aber der Verfasser, der Zürcher Stadtarzt Johann Caspar Hirzel, konnte bestimmt damit rechnen, dass ein dramatischer Bericht die Menschen in besonderem Masse mitfühlen lasse und zu grosszügigen Spenden animiere.

«Nun, so kommt, wir wollen nach guten Menschen uns umsehn! Und wohin blickt ihr am liebsten? Etwa in jene Gottesberge, in die majestätischen Alpen, wo die entzückende Grösse der Natur ihren Urheber am innigsten bewundern lehrt, wo sich Biederkeit und Frömmigkeit mit Einfalt der Sitten so gerne verschwistern, und wo während der Revolution die Tugend auch im tiefsten Unglück und Elend, die Tapferkeit im Unterliegen verherrlichet wurde, wo aus ächtem Schweizerblute nun wieder neue Freyheit emporkeimt? Ja, wir wollen euch nach Unterwalden versetzen. – Freylich werden grässliche Scenen des späten Sommers 1798 euere zarten Seelen verwunden. (…)

Oh, was sehen wir dort! Welche Verheerung – Mord und Brand und Plünderung! zunächst eine flammende Hütte, eine Mutter, die im Gebüsche versteckt mit zitternden Armen die dem Feuerstode kaum entronnenen Kinder in ihren Schooss auffängt. Wo sind wir, wer sind diese Leute?

Ihr stehet am Bürgenberg, der an der westlichen Seite von Unterwalden, nid dem Kernwalde, hart am Vierwaldstätter-See, eine gute Stunde von Luzern sich erhebt, und zu dessen Füssen am Ufer die Dörfer, Stansstaad und Kirsten, liegen. Auf diesen Berg, in das Haus ihres Bruders, welches ihr da brennen sehet, nahm Elisabet Odermatt, die Frau eines Mannes, der mit feinen wackern Landsleuten sich aufgemacht hatte, für die angestammte Freyheit zu streiten, nebst ihren zwey Kindern, 14 Tage vor dem Ueberfall, ihre Zuflucht. Ein Viertel-Brödtchen und 28 Schilling, der letzte Erwerb von saurer Arbeit, war alles, was sie zu ihrem Unterhalt mitnehmen konnte. Bange Ahnung des obschwebenden Verderbens zugleich mit ihrer Leibesbürde – sie war gross schwanger – und Hunger erschöpften die Frau so sehr, dass sie unterwegs mehrmal in Ohnmacht dahin fiel. Hier harrete sie in der grössten Beklemmniss bis an den 9. Herbstmonat, an welchem Tage bekanntlich die Franzosen am Fusse des Bürgen zwischen Kirsten und Stansstaad landeten, um den Batterien der Unterwaldner in den Rücken zu fallen, zuerst Kirsten einäscherten, dann den Berg hinauf zogen, und die höher gelegenen Häuser am Schilt und Fürigen (auch ein kleines Dörfchen) in Brand steckten.

Unsere Odermattin war in der ersten Frühe aus ihrem halben Schlummer aufgestanden; sie und ihre Schwägerin beteten mit ihren 7 Kindern und bereiteten sich zum Tode. Denn ihnen brüllte von allen Seiten der Kanonendonner in die Ohren, und das Getöse ward immer gewaltiger, als ob Berg und Thal zusammen schmettern sollten. In dieser peinlichen Erwartung ihres Schicksals blieben sie, bis ein Weib gelaufen kam, auf deren Antlitz grauses Entsetzen geschrieben stand, und mit stierem Blick die scheussliche Botschaft stammelte: Die Franzosen sind gelandet – sie stürmen Berg auf – die Schilthäuser stehen in Flammen – Fürigen wird eben angezündet. – Schon habe ich ein Weib ermordet liegen gefunden; sie rauben, wärgen, schonen keiner lebendigen Seele, nicht einmal des Kindes im Mutterleibe. –

Aufs erste Wort ergriff die Odermattin ein solcher Schauder, dass sie zu Boden sank; doch sie fasste sich wieder, legte ein Kind ihres Bruders, das in ihrem Schooss ruhete, in die Wiege, ergriff die zwey eigenen, und versteckte sich mit denselben in ein Gestrüppe, unterdess die Franzosen von allen Seiten mit schrecklichem Geschrey und unaufhörlichem Schiessen auf ein nahes Haus zustürmten. Ihre Schwägerin, deren es gleich unmöglich war sich auf einmal mit allen ihren 5 Kleinen zu flüchten, wie einige derselben Preis zu geben, lag betend vor einem Crucifix auf den Knieen, und gewärtigte so, als Mutter und Christin, ihr grausames Ende. –

Erst mit Anbruch der Nacht, als die Odermattin glaubte, der feindliche Zug sey vorüber, schlich dieselbe aus dem dunkeln Gestrüppe, um nach dem Hause zu gehen. Das erste, was ihr aufstiess, waren zwey nackt hingestreckte, weibliche Leichname. Sie bebte für den Augenblick zurück, und eilte dann eines Laufes zu sehen, was ihre Schwägerin mache. Welche Scene! – die Mutter der fünf Kinder schwimmend im Blute; die Kugel, welche ihr die Krieger durch den Hals geschossen, auf der Wiege ihres jüngsten Kindes; die vier übrigen halb verschmachtet am Boden um den mütterlichen Leichnam herum. Mit bebender Hand reichte sie den Kindern etwas zu essen und rathsamte sie, schleppte dann den Körper zum Haus hinaus, damit er nicht allenfalls drinnen verbrennen müsse, und eilte wieder hinein, um die Kinder zu retten. Aber da stürzte ein Haufe Soldaten ihr nach in das Haus.

Kaum konnte sie in eine Kammer nächst dem Eingang entwischen und unter Stroh sich verbergen, und vergass in diesem Augenblick selbst ihrer Kinder. Indess macht ein furchtbares Geschrey die Frau hervorkriechen und sehen, was dieses bedeute. Welcher Schrecken erschüttert sie, als sie das Haus in vollen Flammen erblickt! Nur mit einem ihrer Kinder, das sie noch in der Eile erhaschen konnte, wagt die Bedrängte einen Sprung von der sogenannten Vorlaube hinab, schlüpft in ein nahes Gestrüppe, und erholt sich bald, die andern Kinder zu suchen. Da kömmt der Mutter ihr achtjähriger Knabe entgegen mit halb versengtem Gewande, auf den Armen das Wiegenkind der gemordeten Base, das er mit der äussersten Lebensgefahr durch die Flammen getragen hatte. So eben hatte derselbe, da das Haus schon flammte, einen kleinem Vetter von 5 Jahren zum Fenster hinaus gestürzt und also gesichert. Die Mutter nahm ihm das Kind ab und konnte den jungen Retter kaum halten, dass er nicht wieder in die Flammen renne, um auch die 3 andern Kinder heraus zu holen, was augenscheinliche Unmöglichkeit war. Diese mussten dem verzehrenden Feuer überlassen werden.

So, in unabsehlichem Jammer und Elend, gieng die Odermattin mit den 4 Kindern, die von sieben gefristet waren, davon, und gerieth um Mitternacht auf ein noch höheres Gebürge, Sewli genannt. Zum Glück kam ihr gegen Morgen eine Kuh zu Gesichte, mit deren Milch sie das verhungerte Kind erlaben konnte.

Hierauf irrte die Frau, wie ein verlorenes Schaaf, 15 ganze Tage über Hügel und Thäler einher; der Hunger trieb sie bald da, bald dorthin, um etwas zur Fristung des Lebens zu finden. Endlich wagte sie sich in Stans, ihre Heimat, hinunter, und vernahm, ihr Mann habe sich geflüchtet, der Bruder den Tod im Treffen gefunden.»

aus: Zweytes Neujahrsblatt der Zürcherischen Hülfsgesellschaft zum Nutzen und Vergnügen der vaterstädtischen Jugend, 1802

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Zur Geschichte der Zürcher Hülfsgesellschaft

Gegründet wurde die Hülfsgesellschaft im Jahr 1799, also vor über 200 Jahren. Als damals im Gefolge des Einmarsches der Franzosen in die Schweiz Zürich zum Kriegsschauplatz zwischen Franzosen, Österreichern und Russen geworden war, litt die Bevölkerung vor allem auf der Landschaft unter «Barbarei, Erpressung und Verheerung» so sehr, dass der Stadtarzt Johann Caspar Hirzel mit fünfzehn weiteren Zürchern aus den ehemals regierenden Familien die Hülfsgesellschaft gründete, um die Not durch Abgabe von Kleidern und Lebensmitteln sowie die Verteilung von Suppe zu lindern.

Diese Gesellschaft besteht noch heute. Sie hilft notleidenden Einzelpersonen im Kanton Zürich in Fällen, die nicht von der öffentlichen Fürsorge übernommen werden können, unterstützt mit Stipendien die Berufsbildung und die unter Umständen notwendige Umschulung junger Menschen und leistet Finanzierungsbeiträge an gemeinnützige im Kanton Zürich wirkende Werke. Die Gesellschaft finanziert sich durch Mitgliederbeiträge, Spenden sowie durch lmmobilienertrag.

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Wer war der Verfasser des Textes «zum Nutzen und Vergnügen der vaterstädtischen Jugend»?

«Obwohl kein Verfassername unter dem Text steht, kann davon ausgegangen werden, dass er von Stadtarzt Johann Caspar Hirzel, dem Mitbegründer der Zürcherischen Hülfsgesellschaft, geschrieben wurde. Er erschien im zweiten Neujahrblatt, das heisst, ganz am Anfang der Tätigkeit der Gesellschaft, die gegründet wurde um die Folgen des Kriegs im Zweiten Koalitionskrieg in der Schweiz zu mildern.

Das beschriebene Geschehen in Nidwalden lag erst zwei Jahre zurück. Deshalb darf dem Text eine ziemlich grosse Glaubwürdigkeit zugestanden werden. Johann Caspar Hirzel beruft sich zudem auf eine Schrift, welche sich auf die Aussagen von Elisabeth Odermatt stütze. Diese Einschätzung wird durch den Umstand erhärtet, dass der Verfasser aus Zürich stammt und deshalb nicht a priori aus einer Nidwaldner Perspektive schreibt. Natürlich steht er emotional auf der Seite der Miteidgenossen und verurteilt die französischen Gräueltaten an der Zivilbevölkerung scharf, doch fehlt die einseitige Parteinahme und Verzerrung von Tatsachen, wie sie z. B. im Text von Konstantin Vokinger zu sehen ist. Die Kritik an den ‹warmen Patrioten› weist zwar darauf hin, dass die Sympathien des Zürcher Stadtarztes wohl kaum der Helvetischen Republik galten, doch darf davon ausgegangen werden, dass er als gebildeter Mensch – das kommt im Text immer wieder zum Vorschein – mit der Aufklärung in Kontakt gekommen war. Interessant ist in diesem Zusammenhang, was er von der Lese- und Schreibfähigkeit und vom helvetischen ‹Republikaner› hält. Bemerkenswert ist auch die Ansicht zum Aberglauben der Nidwaldner Bevölkerung, wobei sich der wohl reformierte Verfasser nicht über die Katholiken lustig macht, sondern die Wurzeln in der Antike sucht.

Eine der bemerkenswertesten Abschnitte ist die Nennung der Gründe für die Mordlust der Franzosen. Johann Caspar Hirzel macht sich die Mühe, die psychische Situation der französischen Soldaten an diesem 9. September zu analysieren, die durch folgende Situationen beeinflusst worden sei:

In Anbetracht dieser Analyse sei es erstaunlich, dass manche Franzosen – vor allem Offiziere – versucht hätten, die zivile Bevölkerung zu schützen.

Die erste Hauptfigur im Text wird vom Verfasser Elisabet Odermatt – die Odermattin – genannt. Ein solcher Name wird von Franz Joseph Gut nicht erwähnt, wohl, weil die Elisabet Odermatt und ihre Kinder – das Jüngste wurde erst nach dem 9. September geboren – mit dem Leben davon gekommen sind. Von Niklaus Kappler erfahren wir, dass sie mit dem Schuster Anton Joller verheiratet war und in Stans lebte. Anton Joller kämpfte in Ennetmoos und konnte fliehen. Später kehrte er zu seiner Frau und dem neugeborenen Kind zurück und kam 1802 bei späteren Kämpfen ums Leben.

Sehr genau geht Johann Caspar Hirzel auch auf das Schicksal der Schwägerin von Elisabet Odermatt ein, mit der sie am 9. September zusammen war. Diese Frau hatte fünf Kinder, von denen drei zusammen mit ihrer Mutter ums Leben kamen. Der Verfasser nennt den Namen der Frau nicht, doch darf man annehmen, dass es sich nach Angaben von Franz Joseph Gut um Rosa Christen handelt, die Gattin von Franz Joseph Odermatt, dem Bruder der Odermattin. Dieser wohnte in Obbürgen in der untern Mettlen und kam auf dem Ried bei Ennetmoos im Kampf ums Leben.

Nach Angaben von Franz Joseph Gut rettete der achtjährige Sohn der Odermattin, der spätere Priester Kaspar Joller, zwei Kinder der Rosa Christen aus dem brennenden Haus. Elisabet Odermatt kam zwar mit dem Leben davon, doch war ihr späteres Leben leidvoll. Die zwei älteren Kinder wurden von anderen Leuten aufgenommen, und sie selbst lebte in Armut. Zudem wurde sie von den helvetisch gesinnten Patrioten wegen ihres Gatten in Nidwalden immer wieder drangsaliert.

‹Zum Nutzen und Vergnügen der vaterstädtischen Jugend›. Der Adressat des Textes scheint klar zu sein: die Jugend der Stadt Zürich. Nicht umsonst werden Heldentaten von Kindern gerühmt und zur Nachahmung empfohlen. Der Verfasser wendet sich aber mindestens so stark auch an die Erwachsenen, denn es geht ihm darum die Widerstandskraft der Schweizer Bevölkerung gegen die französischen Besatzer und die helvetische Regierung in Aarau zu stärken und zur Opferbereitschaft und Hilfsbereitschaft aufzurufen.

Johann Caspar Hirzel vertritt ein konservatives Weltbild, das in den Bergkantonen den Hort von Freiheit und sittlichem Leben sieht. In diesem Punkt ist er nachhaltig vom Denken des 18. Jahrhunderts und von der Schweiz-Begeisterung der geistigen Elite beeinflusst, aus dem heraus ein Theaterstück wie der ‹Wilhelm Tell› von Schiller entstehen kann. In diesem Zusammenhang bekommt die Attacke, die der Verfasser gegen das Theater reitet, schon fast eine vergnügliche Note.

Der Text wirkt durch die philosophischen Einschübe und das häufige Moralisieren langatmig. Dort, wo das Schicksal von Kaspar Joller und seiner Verwandten beschrieben wird, ist der Stil viel lebendiger und spannender. Schliesslich soll das Interesse der jugendlichen Leser für den jungen Helden geweckt werden.»

Rafael Schneuwly, Mitglied der Projektgruppe und der Kulturkommission Stansstad

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Eine von General Schauenburg angebotene Patenschaft wird vehement verschmäht

«Katharina Risi, geborene von Matt, floh hochschwanger auf den Bürgenberg, um sich zu verstecken. Als sie den dichten Rauch vom Tale aufsteigen sah, überkam sie ein so grosser Schreck, der gleich eine Sturzgeburt auslöste. Sie war zu schwach, um heimzukehren. Ihre Freundin Clara Jann wusste um Katharinas Umstände und liess sie durch einen Mann suchen. Nach drei Tagen fand er sie und das Kind dem Tode nahe. Er gab ihr zu essen und brachte sie in eine Hütte. Als ihre Niederkunft und Rettung im Tale bekannt wurde, ‹wollte General Schauenburg eine Grossthat begehen und schickte ein paar Unteroffiziere auf den Berg, das in den Felsen geborne Kind nach Stans abholen zu lassen, damit er in der Kirche als sein Taufpathe figurieren könne. Aber Katharina liess durch die Boten sagen, sie würde sich eher zerreissen lassen, als dass sie ihr Kind einem Franzosen übergeben würde.›»

Marita Haller: Die Auseinandersetzung mit der Niederlage und die politischen Folgen, in: 1798 – Geschichte und Überlieferung. Stans 1998, S. 229

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Todesopfer in Obbürgen, untere Mettlen

«3 Kinder, laut Todtenbuch, ohne Angabe von Name und Geschlecht, laut Stammbuch des Franz Joseph Odermatts und der Rosa Christen in der untern Mettlen, die beide auch umkamen. Diese drei Kinder wurden mit Haus und Stall, welche aneinander gebaut waren, verbrannt, hingegen die zwei ältesten gerettet.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 50f.

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Eine wundersame Heilung

«Franz Bünter dem die Hirnschaale mit einem Säbelhieb zerspalten und der Leib mit Wunden überhäuft wurde, verkroch sich noch in den nahen Wald und überzog seine Kopfwunden mit weissem Harze und wurde geheilt.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 52

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Nennung des Flurnamens Lochmatt

In der Franzosenzeit wird als Mitglied der «Munizipalität», des Gemeinderates, genannt: Maria Flühler, Obbürgen, Lochmatt. (Maria ist hier als männlicher Vorname zu verstehen.)

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 171

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Aberglauben, die Kugeln der Franzosen träfen nicht?

«Wir wissen auch, wie unmittelbar nach dem 9. Herbstmonat, und bis auf den heutigen Tag, schriftlich und mündlich, und besonders von protestantischen und französisch gesinnten Geschichtschreibern, einzelnen Geistlichen sowohl als dem Volke der Vorwurf des Aberglaubens, der Dummheit, der Verführung und des Betruges gemacht worden ist: ‹als wenn die Franzosenkugeln nicht träfen, sondern abgehalten werden könnten› u.a.m. Aber dieses Lügenwerk entkräftet sich aus Thatsachen, die verdienen angehört zu werden. ‹Schon am 29. Augstmonat 1798 erkannte der neue Kriegsrath in seiner ersten Sitzung, den Spital zu Stans, und in jeder Gemeinde ein Haus für die allfällig Verwundeten einzurichten. Auf alle Posten wurden Feldpriester und Feldärzte zur Hilfe gesendet, und die Aerzte angewiesen, sich mit Bandaschen zu versehen. Die Soldaten alle beichteten und kommunizirten, und rüsteten sich zum Tode, und viele versahen sich auf den Fall der Verwundung mit Leinenzeug u.s.w. Alles das ist Thatsache.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 464f.

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Fluchtort und Versteck «Franzosenloch»?

«Am 9. Herbstmonat 1798 hatte sich eine grosse Anzahl Weibsbilder mit kleinen Kindern in den Wald ob Trogen geflüchtet und übernachteten allda. In grossen Brenten wurde Milch hingetragen und ganze Käse überbracht etc. um in der Noth auszuhelfen.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 54

Mit diesem Versteck könnte das sogenannte «Franzosenloch» ob Trogen gemeint sein, beim Hammetschwand, Gemeinde Ennetbürgen.

Blick gegen Ennetbürgen
Blick gegen Ennetbürgen und auf den Bürgenberg. Die Franzosenhöhle liegt nur wenig unterhalb des Grates auf Ennetbürger Seite und 300 m östlich des Hammetschwandaufzugs. Angaben aus der Publikation von Martin Trüssel: Die Franzosenhöhle am Bürgenstock, in: Höhlen in Obwalden und Nidwalden. Eine Schriftenreihe über ausgewählte Höhlen, Ausgabe Nr. 1. Alpnach 2007, S. 3
Kurt Messmer

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Zwei Frauen auf hoffnungsloser Flucht

«Katharina und Barbara Herrmann, zwei Schwestern und Töchter des ‹Bartli‘s› auf Obbürgen, Weberinnen, auf dem Gemeindrecht sesshaft in Stansstad bei Laurenz Odermatt im Frankenloch an der Landstrass; liefen bei Ankunft der Welschen aufwärts und wollten auf Obbürgen fliehen, wurden jedoch in Mitte der Zugweid des Franz Jos. Flühler getödtet und dort begraben. Vermuthlich wurde aus der Landstrasse, oder aber von Oben her, von den von Obbürgen kommenden Franzosen auf sie mit Kugeln geschossen oder mit Steinen geworfen.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 49

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Zur Geschichte der Kirche Obbürgen

Die Katholische Pfarrkirche St. Antonius, erbaut 1953–54, ist ein Werk von Fritz Metzger (1898–1973). Metzger gehört zu den bedeutendsten Kirchenarchitekten der Schweiz zwischen 1928 und 1968. Auf ihn geht unter anderem die St. Karl Kirche in Luzern zurück («Alles sei ganz erneut»). Glasgemälde 1956 von Paul Stöckli, im Chor Mosaik 1960 von Anton Flüeler «Der hl. Antonius huldigt Christus», Kreuzwegstationen aus Gusszement 1962 von August Blaesi. Qualitätsvolle spätgotische Madonna Anfang 15. Jahrhundert, oberrheinisch. 1964 wurde die Kirche samt Pfarrhaus unter eidgenössischen Denkmalschutz gestellt, 1972 Obbürgen zu einer selbständigen Pfarrei erhoben.

Blick gegen Ennetbürgen
Kapelle Obbürgen, Vorgängerbau der heutigen Kirche, hinten der Pilatus
Postkarte, ehemals Verlag Familie Amrhein, Handlung und Postablage, Obbürgen