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Balmkapelle

Balmkapelle

Die Nachrichten über die vermutlich älteste Kapelle von Stansstad sind spärlich. Erstmals erwähnt wird sie 1645 vom Luzerner Johann Leopold Cysat (1601–1663) in einer Beschreibung des Vierwaldstättersees. Um 1800 wurde die Felskapelle zerstört, danach auf einem Felsvorsprung ob Stansstad wieder errichtet.
Balmkapelle
➛ Chirurgien Luga, 11e rég., Nancy
➛ Elisabetha Odermatt

Le chirurgien Luga, 11e régiment de dragons, Nancy

«Der rasende Widerstand der Nidwaldner hat die französischen Soldaten in solche Wut versetzt. – Aber in Stans steht der Freiheitsbaum wieder!»
sinngemäss nach einem Brief des französischen Militärarztes Luga in Luzern vom 1. Oktober 1798
Unterwalden im Herbstmonat 1798
Johann Heinrich Meyer, Unterwalden im Herbstmonat 1798, Stans, 1800 (Ausschnitt)
Zentralbibliothek Zürich
«Der kommandierende General Mainoni stellte endlich die Ordnung wieder her, indem er diese Wüteriche vertrieb. Die zwei Husaren-Schwadrone nahmen die Säbel nur zur Hand, um dem General bei dieser Aufgabe beizustehen, und sie verhinderten, soweit das in ihrer Macht stand, die Ausweitung des Massakers.»
aus einem Brief des französischen Militärarztes Luga in Luzern vom 1. Oktober 1798

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Was könnte einige französische Offiziere veranlasst haben, die Soldaten in die Schranken zu weisen, um ein noch schlimmeres Massaker zu verhindern?

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Unmenschlichkeit provoziert Unmenschlichkeit

«Endlich in der Ebene angekommen zwischen Sarnen und Kerns, wurde der 1. und 2. September zum Rekognoszieren der Stellungen des Feindes benützt. Es gab einige Schüsse von beiden Seiten und die Schweizer nahmen drei unserer Soldaten gefangen, die sie uns scheusslich verstümmelt zurückschickten. Zweien hatten sie die Zunge und die Ohren abgeschnitten, dem dritten hatten sie die Augen ausgestochen und eine Hand abgeschlagen. Diese barbarischen Grausamkeiten empörten die Infanterie dermassen, dass unsere Truppen beim Kampf die Schweizer an Unmenschlichkeit übertrafen (...). So fand dieses schrecklichste Blutbad statt. Alles, was man auf den Gemäuern oder in den Gassen erwischte, wurde mit Bajonettstichen getötet. Die Offiziere, denen es gelang, einige Personen zu retten, wären beinahe ihrer Hingebung zum Opfer gefallen, denn die Soldaten, rasend über die Verhinderung ihrer Rache, schossen mit Gewehren auf sie.»

Aus einem Brief des französischen Militärarztes Luga in Luzern vom 1. Oktober 1798
zitiert nach: 1798. Geschichte und Überlieferung, Stans 1998, S. 178

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Menschlichkeit eines französischen Offiziers

«Kaspar Engelberger, Vater des umgekommenen Sohnes Johannes, genannt der alte Trommer. Den Sohn mordeten die Franken unter seinen Augen und ihm wurden alle Zähne ausgeschlagen und viele Leibsschäden versetzt. Zuletzt rettete die Tochter den Vater, fiel den Rasenden in die Bajonette und wollte ihr Leben für ihn geben. Ein Offizier rettete beide. Die Franzosen liessen den verstümmelten Mann nach Luzern bringen wo er geheilt wurde. Er starb den 16. März 1803.»

Franz Joseph Gut. Überfall. Stans 1862, S. 54

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Grüsst Winkelried den Freiheitsbaum? – Bildkommentar

Unterwalden im Herbstmonat 1798
Johann Heinrich Meyer, Unterwalden im Herbstmonat 1798, Stans, 1800
Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung Ms K 2a

Wie bewusst der Künstler seine Komposition anfertigte, ist nicht mehr auszumachen. Fakt ist, dass die Kirchturmspitze den Freiheitsbaum auch auf dem Bild weit überragt. Dieses Hoheitszeichen der Helvetik überragt seinerseits aber deutlich die Brunnenfigur von Winkelried mit seinen Speeren. Der Winkelried-Brunnen nimmt heute einen anderen Platz ein als auf dieser Darstellung. Auffallend ist das Arrangement, wonach Winkelried offensichtlich dem in unmittelbarer Nähe aufgestellten Freiheitsbaum seine Reverenz zu erweisen hat.


Elisabetha Odermatt

«Es drückt mir noch immer das Herz ab, wenn ich daran denke, wie Frauen und Kinder umkamen –kniend vor dem Kruzifix.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 50
Balmkapelle
Balmkapelle, Mitte 17. Jahrhundert, Altar mit Marienbild
Kurt Messmer
«Der Pfarrhelfer von Stans berichtet, in seiner Pfarrei, der grössten von allen, seien 1799 nur drei aussereheliche Kinder geboren worden, deren Väter im Taufbuch als Franzosen eingetragen seien und deren Mütter einer widerrechtlichen Gewalt unterlegen waren. In Nidwalden habe man diese Werke der Franzosen mit Recht für abscheuliche Gräueltaten gehalten.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 497

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Zur Balmkapelle

Balmkapelle
Balmkapelle, erstmals erwähnt 1645
Kurt Messmer

Die Nachrichten über die vermutlich älteste Kapelle von Stansstad sind spärlich. Wann und von wem die Kapelle erbaut wurde, ist unbekannt. Der Luzerner Johann Leopold Cysat (1601–1663) erwähnt diese Felskapelle auf einem Felsvorsprung ob Stansstad erstmals 1645 in einer Beschreibung des Vierwaldstättersees.

Um 1800 wurde sie zerstört – ob von einem Sturm oder bereits vorher von den Franzosen, bleibt offen. Gesichert ist, dass der Wiederaufbau aufgrund eines Gelübdes (Ex voto) eines Offiziers von Stansstad erfolgte. 1827 malte der Nidwaldner Künstler Paul von Deschwanden das bekannte Bild, das heute zum Bestand des Nidwaldner Museums in Stans gehört. Das Bild in der Kapelle ist eine gute Kopie. Noch heute befindet sich die Balmkapelle in Familienbesitz, und zwar der Familie Durrer, unter Sagi.

Josef Flüeler-Martinez: Nidwalden. Häuser – Kirchen – Leute und Kapellen. Buochs 2006, S. 132

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Wie wahrscheinlich ist eine Zerstörung durch die Franzosen?

Man geht heute davon aus, dass die hölzerne Balmkapelle um 1800 von einem Sturm zerstört wurde. Den genauen Hergang kennt man nicht. Die Nidwaldner Brattig von 1914 lässt den Sachverhalt offen, ebenso Josef Flüeler-Martinez, der sich 2006 mit dieser Frage in seiner informativen Schrift «Nidwalden. Häuser – Kirchen – Leute und Kapellen» auseinandergesetzt hat. Seine Zurückhaltung entspricht der Einsicht, wonach nicht behauptet werden soll, was sich historisch nicht belegen lässt.

Der jeweilige historische Zusammenhang berechtigt jedoch oft zu Hypothesen. Im vorliegenden Fall könnte man sich aus drei Gründen vorstellen, die Balmkapelle sei von französischen Truppen zerstört worden:

  1. Der Zeitpunkt: Falls zutrifft, dass für die Beschädigung die Zeit um 1800 angenommen werden muss, so würde die Nähe zum 9. September 1798 einen Zusammenhang möglich erscheinen lassen.
  2. Das Vorgehen der Franzosen: Die Kapelle Kehrsiten wurde zerstört; die Kapelle Obbürgen erlitt dasselbe Schicksal. Beim Kampf um den Bürgenberg wurden Häuser und Ställe mehr oder weniger systematisch ein Raub der Flammen. Von daher ist kaum anzunehmen, bei der Balmkapelle sei willentlich eine Ausnahme gemacht worden – es sei denn, die Kapelle lag nicht auf dem Weg der Franzosen und andere Ziele waren vorrangig, was durchaus möglich ist. Franz Joseph Gut hielt 1862 fest: «Besonders aber die Pfarrkirche in Stans mit ihren vielen Nebenkapellen wurden aller Zierathen und HI. Gefässe, selbst jener im Tabernakel, des gänzlichen beraubt und bestohlen.» (S. 554)
  3. Ein Sturm als Ursache? Es ist durchaus denkbar, dass ein Sturm der Balmkapelle erheblichen Schaden zufügte, falls zum Beispiel das Dach schon vorher schadhaft gewesen wäre oder ähnlich. Allerdings ist zu bedenken: Hätte damals ein Sturm derart gewütet, wären vermutlich auch von anderen Orten entsprechende Schäden bekannt. Das scheint nicht der Fall zu sein.

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Eine vorzügliche Beschreibung von Balmkapelle und Umgebung, geschrieben vor mehr als hundert Jahren

«Auf steilragendem Fels ruht still und traut, im Walde verborgen, die kleine Balmkapelle. Ein steiler, steiniger Weg klimmt zu ihr empor, von der untersten Mühle beginnend, wo ehedem die Wasser des Mühlebaches munter über‘s Mühlrad sprangen, bis sie durch die Zeitverhältnisse gezwungen wurden, eine andere Aufgabe zu erfüllen und ein surrendes Sägewerk zu munterem Leben anzutreiben. Der einsame Pfad, von Waldbäumen behütet, schmiegt sich zum Teil an jäh abfallende Felswände, als wollte er dem kalten Gestein ein Geheimnis anvertrauen: ‹Warum bin ich seit Jahr und Tag so verlassen und allein? Warum pilgern die Leute vom Tal nicht mehr hinauf zum Kirchlein, wo schon so manches bedrückte Herz Trost und Ruhe gefunden? Oder haben es die Menschen jetzt so gut, dass sie nicht mehr zu beten brauchen…?› Sorgende Hände haben gegen das Tal zu einen schützenden Hag hingestellt, dass der Wanderer sicher ziehen könne. Knorrige Baumwurzeln ragen hie und da aus dem Boden heraus. Weiches, grünes Moos hat sich flüchtig auf morsche Strünke hingelegt und auf die Steine, die mitten im Weg ihr Dasein behaupten seit Menschengedenken. Der Pilger tritt aus dem Walde heraus und gelangt durch eine kleine grasbewachsene Mulde in den Hohlweg, der auf das ebene Plätzchen ausmündet, darauf das Kapellchen steht. Vom Giebel des weissgetünchten Heiligtums grüsst ein einfaches Kreuzlein.

Wir treten ein. Knarrend gibt das alte Schloss der Türe, die in der Mitte ein vergittertes Guckfensterchen hat, dem Drucke der Hand nach. Unser Blick richtet sich zuerst auf das Altärchen. Ein prächtiges Bild voll Anmut und gewinnender Natürlichkeit, die Flucht der hl. Familie nach Aegypten darstellend, von einem frommen Künstler ausgedacht, fesselt unsere Aufmerksamkeit. Lange stehen wir sinnend davor – und dann beginnen wir, selbst unbewusst, zu beten: das vermag echte christliche Kunst. Ein paar dürre Blumen, zwei Kerzen und einige Heiligenstatuen sind der schlichte Schmuck des Altärchens. Durch zwei Fenster fliesst das Tageslicht herein und umgibt alles mit einer ganz eigenartigen, trauten Heimeligkeit. An den Wänden und an dem schwarzgestrichenen Holzgitter vor dem Altar hangen alte Votivzeichen, stumme und doch beredte Zeugen, dass manches Menschenherz, das hier sein Leid ausgeschüttet, getröstet von dannen ging.

Wir treten wieder ins Freie. Nebenan rauscht der Waldbach in munterem Gang über Fels und Stein, am moosgesäumten Bord vorbei in flüchtigem Sprung zu Tal. Buchen und Tannen, darauf Vöglein fröhlich singen, stehen wie alte treue Wächter um die Kapelle. Und eine junge Tanne hat, seitdem, die Menschen so selten mehr da hinauf wallfahren, und das Heiligtum so verlassen ist, fast wie aus Mitleid ihre Aeste schützend auf das Schindeldach der Kapelle gelegt. Durch das Geäst der Bäume blitzt der See herauf, auf dem gerade ein Schiff silberne Furchen gräbt. Vom Tale herauf tönen friedliche Herdenglocken und ein froher Jauchzer des Hirtenbuben. Tal und Berg – hier Verlassenheit, fast Totenstille, dort sprudelndes Leben… Die Menschen lieben nicht mehr holprige, steinige Pfade!

So ist’s heute. Still ist’s geworden um die Balmkapelle, nicht bloss um das Heiligtum, sondern auch um seine Geschichte. Wann und von wem diese Kapelle da hingestellt wurde, will niemand mehr wissen. Nur ein Zeuge gibt uns einige Andeutungen: der Luzerner Cysat erwähnt in seiner Beschreibung des Vierwaldstättersees vom Jahre 1645 und in einer Karte auf einem Felsvorsprung ob Stansstad eine Kapelle mit einem Türmchen. Es ist das jedenfalls die Balmkapelle. Ausser dieser Nachricht besitzen wir nichts mehr bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Ein Sturmwind warf das alte, hölzerne Kirchlein um. Ein Offizier aus Stansstad – sein Name ist uns nicht bekannt – liess es infolge eines Gelübdes in den Zwanziger Jahren des letzten [19.] Jahrhunderts aufrichten. Anno 1827 schmückte es der junge, eben von Rom heimgekehrte fromme Künstler M. Paul von Deschwanden mit dem bekannten Bilde, das eines seiner besten Jugendbilder, überhaupt eines seiner ersten Meisterwerke ist. Im Jahre 1881 gab der Eigentümer der Kapelle, Ratsherr Adolf Durrer, das Gemälde zur Ausstellung ins Museum nach Stans. Ein Maler B. Caratsch fertigte im gleichen Jahre eine gute Nachbildung an, die nun in der Balmkapelle seitdem ausgestellt ist.» A.L.

Nidwaldner Brattig 1914

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Ein Gedicht auf die Balmkapelle im Nidwaldner-Kalender 1914

Höch obä uf stotzigem Felsä,
Im Wald so friedlich still,
Da stad es chlis Chäpili drinnä,
Äs finds, wers findä will.

Ä g’hogrigä, steinigä Bärgwäg
Führd uisä a diä Stell,
Ä Holzhag am stotzige Rand na,
Dass keinä erfallä sell.

Bim Chäpili obä da tosed
Ä rächtä Tschoderibach
Äs spreitid diä mächtigä Buechä
D’Äst ubers Schindlädach.

Und drinnä da schlaft d’Muettergottes
Im Arm s’ lieb Jesuschind.
Der Ängel seid liis zum Sankt Josef:
Muosst flieä rächt wiit und gschwind.

Det obä scho Mängä hed bätted
Mit chindlech frommem Gmüet
Zum heiligä Nährvater Josef,
Dass er is doch behüet,

Hed bätted: «O Muettergottes,
Dui liebs, liebs Jesuschind,
Bewahr is dui vor Ungfell,
Vor Härzäleid und Sind.»