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Wolfsgrube

Wolfsgrube

Am oberen Ende einer kleinen Schlucht bot sich den Nidwaldnern eine derart günstige Verteidigungsstellung, dass die Franzosen die Wolfsgrube seitlich umgingen. Dazu benützten sie den Geissweg, auch Schneggen genannt; so erreichten sie den Grat über diesen steilen Umweg. Schliesslich konnten die Nidwaldner auch die Wolfsgrube nicht mehr halten. – Der Ortsname weist darauf hin, dass hier ursprünglich in einer Grube Wölfe gefangen wurden. Nach der Ausrottung des Wolfes änderte der Name. Die «Wolfsgrube» wurde zur «Wolfsschlucht».
Wolfsgrube
➛ Jules Achard, Tirailleur
➛ Melch Stalder, Scharfschütze

Jules Achard, Tirailleur

«Die verschanzten Nidwaldner Schützen machten uns schwer zu schaffen. Dazu kamen die gefährlichen Steinlawinen.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 402
Votivtafel aus der Kapelle Niederrickenbach
Votivtafel aus der Kapelle Niederrickenbach, vermutlich von Martin Obersteg dem Jüngeren (1761–1826) (Ausschnitt)
Nidwaldner Museum, Stans
«Das Feuer der Nidwaldner setzte uns am ganzen Bürgenberg schwer zu. Den Durchgang durch die steile, enge Wolfsschlucht zu erzwingen, war besonders schwierig. Selbst wer Feuerschutz durch eigene Leute hatte, musste hier mit allem rechnen. Und – was ist das für ein Volk, das selbst Frauen in einen solchen Kampf schickt? Sind die noch bei Sinnen?!»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 402

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Was für Handlungsmöglichkeiten hatten die französischen Soldaten, als sie im Kampf Frauen gegenüberstanden, die sich mit Sensen wehrten?

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Was ist eine Votivtafel?

Votivgaben sind Gegenstände, die im Zusammenhang mit einem Versprechen stehen. Die Bezeichnung kommt von lateinisch ex voto, das heisst: aus einem Gelübde heraus. Der öffentlich sichtbare Ausdruck eines solchen Gelübdes ist häufig, wie in unserem Fall, ein Bild mit der Darstellung einer Notlage oder Rettung. Als symbolisches Opfer kann die Votivgabe also zwei Aufgaben haben: Entweder soll sie zum Voraus wirken, vor einer Gefahr bewahren, oder sie ist im Nachhinein ein Zeichen des Danks für die Erfüllung einer Anflehung oder Hoffnung. In katholischen Gegenden wie in Nidwalden werden Votivgaben meist in Kirchen und Kapellen aufgestellt, sind also öffentlich zugänglich.

Bereits aus der Steinzeit sind symbolische Weihegaben bekannt, ebenso aus den Hochkulturen, namentlich aus der römischen Antike, von wo aus der kultische Brauch ins Christentum überging. Aus der Zeit des Barocks, 17. und 18. Jahrhundert, haben sich besonders viele Exvotos erhalten. Das zeigt sich vor allem in Wallfahrtsorten.

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Willkommen auf der Spurensuche – Kommentar zum Bild

Votivtafel aus der Kapelle Niederrickenbach
Votivtafel aus der Kapelle Niederrickenbach, vermutlich von Martin Obersteg dem Jüngeren (1761–1826)
Nidwaldner Museum, Stans

Auf den ersten flüchtigen Blick mag man sich fragen, warum sich die Franzosen gegenseitig erschiessen. Auf den unverzichtbaren zweiten Blick werden wir eines Besseren belehrt, einmal mehr. Eine Übermacht französischer Soldaten beherrscht die Szene: Zwei Franzosen links; einer verwundet am Boden, vielleicht wurde er vorher im Kampf mit dem Nidwaldner verletzt; zwei Franzosen rechts, einer eilt im Laufschritt herzu, der andere ist nur mit seinem Kopf sichtbar. Im Mittelgrund ein Franzose zu Pferd; er hält die Helvetische Trikolore in die Höhe – grün, rot, gelb – zum Zeichen dafür, wer hier Meister ist. Er wird aber hart bedrängt von einem Nidwaldner, wie seine schwarzen Hosen erkennen lassen. Die gleichen schwarzen Hosen trägt die Hauptperson auf diesem Exvoto, im Unterschied zu den weissen Hosen der Franzosen.

Die kurze Verwirrung, die am Anfang entstanden sein mag, rührt daher, dass zweifellos kein einziger der 1‘700 Nidwaldner Männer so gekleidet war wie die beiden Einheimischen auf dieser Darstellung, nämlich in einer Uniform, wie sie den Franzosen in nichts nachstand, eher im Gegenteil: Zumindest das rote Wams des Nidwaldners erscheint eher kostbarer als das weisse Wams der Franzosen; auch die Verzierungen an Beinkleid und Stiefeln sind aufwändiger als bei den Franzosen; die Bewaffnung mit Gewehr und Säbel lässt sich sehen, ebenso das Kreuz, das von den weissen Lederriemen über der Brust gebildet wird.

Wie ist diese offensichtlich geschönte Darstellung zu erklären? Handelt es sich um eine «bösartige Fälschung» oder dergleichen? Keineswegs. Darüber, dass der Maler, ein Einheimischer und Zeitgenosse des Geschehens vom 9. September 1798, über Bewaffnung und Bekleidung der Nidwaldner Kämpfer genaustens im Bild war, besteht nicht der geringste Zweifel. Höchstwahrscheinlich war er sogar Seite an Seite mit anderen Stansern selber an den Kämpfen beteiligt. Aber als er das Geschehen festhielt, dazu auf einer Votivtafel, die für einen Kirchenraum bestimmt war, wollte er die Nidwaldner offenbar um keinen Preis als minderwertige Soldaten verstanden wissen. Seine Landsleute sollten – begreiflicherweise – nicht Soldaten zweiter Klasse sein. Obwohl sie sich letztlich beugen mussten, sollten sie den Franzosen wenigstens auf dem Bild mit Waffen, Ausrüstung und Kleidern Paroli bieten.

Und was geschah mit dem Nidwaldner, der im Zusammenhang mit diesem Exvoto steht? Wir wissen es nicht, und ohne zufälligen Quellenfund werden wir es, einmal mehr, nie erfahren. Aber auch hier könnten Spuren in der Bildquelle erklären helfen, was sich damals wie zugetragen hat. Ganz deutlich ist zu erkennen, dass der unbekannte Nidwaldner die Arme vor der Brust hält, die Hände gefaltet, wie beim Gebet – oder wie bei einer inständigen Bitte. Das Gewehr unter dem Arm, längst nicht mehr schussbereit, und der noch immer vorhandene Säbel ist eingesteckt: Bittet hier einer um sein Leben? Und wird ihm dieses Leben geschenkt? Wo doch alle Berichte von damals das pure Gegenteil sagen. Ist eine solche Annahme sogar naiv, angesichts der Furcht einflössenden Szenerie erst recht? Überall Feuer, Häuser und Ställe brennen – und ausgerechnet dieser Nidwaldner sollte bei diesem Kampf auf Biegen und Brechen mit dem Leben davon gekommen sein und nach seiner Rettung mit diesem Bild gedankt haben? – Andere Deutungen sind nicht verboten.

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Hinweis auf den Maler

Martin Obersteg der Jüngere (1761–1826), der das Exvoto malte, war ein Stanser Künstler, der aus einer dortigen Künstlerfamilie stammte. Schon sein Vater war Maler, Martin Obersteg der Ältere, 1724 in Stans geboren und gestorben am 27. März 1798, ebenfalls in Stans. Die Lebensdaten der beiden sind interessant: Der Vater verstarb im Alter von 74 Jahren – im März 1798. Er erlebte die Nidwaldner Schreckenstage (9. September) also nicht mehr. Sein gleichnamiger Sohn war 1798, als er das Exvoto malte, 37 Jahre alt.


Melch Stalder, Scharfschütze

«Einige Franzosen erklimmen den Berggrat durch einen Geissweg, den Schneggen, und umgehen so unsere Stellungen!»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 403
Vaterunser eines Unterwaldners
Die Franken in Unterwalden, Holzschnitt von Wilhelm Suter (1806–1882) (Ausschnitt)
Zentralbibliothek Zürich
«Mehrere Frauen halfen mutig mit. Sie bewarfen die Franzosen mit Steinen, die sie bereitgelegt hatten und rollten auch grössere Brocken den steilen Hang hinunter. So konnten wir das Engnis eine gewisse Zeit halten. Auf Dauer war jedoch mit Steinwürfen gegen Scharfschützen nichts auszurichten. Wir mussten uns noch weiter zurückziehen.»
fiktiver Text aus mehreren Quellen

Geschichte weiterdenken

Was halten Sie von den Nidwaldner Frauen, die ohne militärische Ausbildung an der Seite ihrer Männer gegen Soldaten einer Berufsarmee kämpften?

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Zum Flurnamen Wolfsgrube und Wolfsschlucht

Die Bezeichnung Wolfsgrube benennt eine Stelle, die eine kleine Mulde bildet in der sonst sehr steilen Waldflanke auf dem Fussweg vom Zingel in das Gebiet mit dem Unteren, Mittleren und Oberen Schilt.

Schweizerdeutsch Schluecht für Schlucht, eine lange Bergmulde, beruht auf der ursprünglichen Lautung sluoht. Die ursprüngliche Bedeutung ist Wasserrinne. Etymologisch muss Schluecht mit dem Verb schlahen, schlagen zusammenhängen.

Wolfsgrube weist auf die Bejagung des Wolfes mittels einer Fallgrube hin. Dass die [Wolfs-] Grube schliesslich zur [Wolfs-] Schlucht wurde, zeigt, dass nach der Ausrottung des Wolfes die Bedeutung des alten Namens nicht mehr bekannt ist.

nach Hug Albert / Weibel Viktor: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar, in 5 Bänden. Stans 2003

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Sachverhalt auf den Kopf gestellt? Bildkommentar

Die Franken in Unterwalden
Die Franken in Unterwalden, Holzstich von Wilhelm Suter (1806–1882)
Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv

«Die Franken in Unterwalden» – diesen Titel gab Wilhelm Suter (1806–1882) seinem Holzstich zu den Ereignissen in Nidwalden im Jahre 1798. Im Zentrum des Bildes ein hünenhafter Nidwaldner. Hätte er eine Armbrust statt ein Gewehr, so könnte es sich bei diesem selbstbewussten Hirten nur um Wilhelm Tell handeln. Wie Tell ist er als Einzelgänger dargestellt, und selbstbewusst zeigt er auf einen der tödlich getroffenen Franzosen.

Eigenartig: Der Nidwaldner triumphiert erhobenen Hauptes, ohne jegliche Verwundung, ohne Kampfspuren. Derweil liegen fünf Franzosen tot darnieder. Ist die Geschichte nicht ganz anders ausgegangen? Ist nicht fast ganz Nidwalden in Schutt und Asche, sind nicht mehr als 400 Landsleute tot? Wie ist die Darstellung von Suter zu erklären?

Bilder und Karikaturen wirkten wie ein notwendiges Ventil, halfen weiterzuleben. Darstellungen, auf denen die Nidwaldner in heldenhaftem Kampf gegen immer neue übermächtige Feinde obsiegten, stellten die Tatsachen letztendlich zwar auf den Kopf, waren aber verständlich als Mittel gegen Trauer und Wut und halfen auch, aufkommende Zweifel am unbedingten Widerstand einzudämmen.

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Familie Herrmann – Mutter und fünf Töchter gefallen

Das Schicksal, das die Familie Herrmann 1798 ereilte, ist eindrücklich. Die 80-jährige Mutter kam um, und mit ihr fanden fünf der acht Töchter den Tod. Von einer dieser Frauen, die den Vornamen ihrer Mutter trug, berichtet Gut:

«Josepha Herrmann, 36 Jahre alt, Tochter des Balzers und Schwester des Kreuztragers Karl in Stans, wohnhaft im untern Seewli bei ihrem Bruder Anton, wälzte mit ihm und Andern in der Wolfsgrube gegen die von Kehrsiten hinanklimmenden und erschrecklichen Verlust leidenden Franzosen Steine herab, wurde dort von ihnen durch den Hals geschossen, woran sie starb und im obern Schilt unter dem Haus begraben. Als blessirt trug sie Bruder Anton auf dem Rücken weg, ward aber von den Franzosen ihm abgerissen und noch vollends getödtet, in‘s brennende Haus geworfen und die Ueberbleibsel zur Erde bestattet.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 51

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Barbara Bachli, «ein tapferes Weibsbild»

«Barbara Bachli (Zumbach), Tochter Sebastians, auf der Allmend, im äusseren Rohrhaus, 22 Jahre alt, Magd zu Langentannen in Buochs, ein tapferes Weibsbild, kam aus der Wolfsgrube ob Kehrsiten, wo sie mit Andern gegen die kommenden Franzosen Steine hinabgewälzt hatte und wurde von einem Grenadier aufgefangen, der sie umarmen und ihr Pardon geben wollte [der sie vergewaltigen wollte]. Sie schlug beides aus, wie er selbst erzählte, und gab ihm mit dem Knüttel auf den Arm einen derben Streich. Darauf erhielt sie sieben Stichwunden mit dem Säbel und wurde zuletzt in der Feurigen-Weid [Fürigen], Gurgeli, genannt erschossen und durch einen Holzzug hinabgestürzt. Die Bachli lag im Stäckenmatt-Tobel in einem Staudengebüsch, wo man vom Käppeli gegen Stansstad ennet dem Bach geht, ein Vierteljahr todt. Kaspar Vonbüren löste selbe hinab und dort wurde sie unter Steinen begraben.»

Franz Jospeh Gut: Überfall. Stans 1862, S. 27f.