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Schwand

Schwand

Die Schwand war eine Verteidigungsstellung, in der sich die Nidwaldner beim Zurückweichen eine Zeitlang halten konnten. Hier hatten sie vermutlich auch den Kapellenschatz versteckt, vielleicht im «Boniloch». – Der Name «Schwand» kommt von «schwänden», das bedeutet: einen Baum durch Abschälen der Rinde zum Absterben bringen, eine Form von Rodung also. Wald wird dadurch auf lange Sicht zur Weide. Eine andere Form war das Roden oder das Abbrennen von Wald.
Schwand
➛ Henri Latour, Chasseur
➛ Kaspar Andacher, Ürtevogt

Henri Latour, Chasseur

«Hier im Steilhang haben die Nidwaldner bestimmt irgendwo Kostbarkeiten versteckt. Aber die finden wir.»
fiktive Aussage aufgrund ähnlicher Befunde
Das französische Expeditionskorps
Das französische Expeditionskorps führt 1799 die Reichtümer Helvetiens fort. Radierung im Stil von Balthasar Anton Dunker (1746–1807) (Ausschnitt)
Schweizerisches Nationalmuseum
«Im Krieg lernt man rasch, sich seiner Haut zu erwehren – und so viel zu profitieren, wie man nur kann: Am liebsten sind uns Sachen aus Gold und Silber, Ringe oder Schmuck von Frauen. Reiche Beute gibt es oft in Kirchen und Kapellen, Messgeräte, versilberte Kerzenständer, vergoldete Leuchter. Das wird alles in Kisten verpackt und eingeschmolzen.»
fiktiver Text aufgrund mehrerer Quellen

Geschichte weiterdenken

Warum muss dieses Bild von einem Gegner der Franzosen gemalt worden sein?

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DWelche Rolle spielten die Geistlichen in den Nidwaldner Schreckenstagen?
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Über geschichtliche Quellen, Tatsachen und die «Wahrheit»

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Trésorerie nationale – Bildkommentar

Das französische Expeditionskorps
Das französische Expeditionskorps führt 1799 die Reichtümer Helvetiens fort. Radierung im Stil von Balthasar Anton Dunker (1746–1807)
Schweizerisches Nationalmuseum

Der abgebrochene und umgestossene Grenzstein «Helvetische Republik» im Vordergrund deutet unmissverständlich an: Das grosse politische Projekt des Helvetischen Einheitsstaats ist gescheitert. Die französische Armee räumt ab. Soldaten treiben das Vieh weg, Kühe und ein Schaf. Eine Frau mit ihren zwei Kindern versucht zwar noch, einen Franzosen umzustimmen. Aber da ist nichts mehr zu machen. Rechts trägt ein Soldat einen reich gefüllten Sack weg, sein Kamerad etwas weiter hinten einen grossen Korb.

Im Zentrum der Karikatur aber stehen zwei grosse, schwer beladene Wagen, der eine gefüllt mit dem Korn von Bern, der andere mit Geldsäcken noch und noch. Die Säcke auf der hinteren Seite des Wagens weisen gleich auf ihren Inhalt hin: 1‘000‘000. Darunter befindet sich die Kiste mit der Zürcher Staatskasse, wie das Wappen deutlich ausweist.

Das polemische Bild bringt zum Ausdruck, dass sich die französische Armee finanziert und ernährt aus dem Land, in dem sie gerade Krieg führt. Das ist in diesem Fall die Schweiz.

Hinten rechts trägt ein Franzose auch noch die Berner Trommel weg, ein Zeichen der Souveränität der «Gnädigen Herren» von Bern, die zu ihrer Zeit den mächtigsten Stadtstaat nördlich der Alpen regierten. Jetzt, bei der Ausbreitung der Französischen Revolution, schlägt Napoleon die Trommel, nicht nur in der Schweiz.

Im Zeichen von Liberté und Égalité wird der Zürcher Staatsschatz weggeführt. Derweil tanzt das Volk um den Freiheitsbaum. Holzschnitt von 1848
Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung
Kehrsiten, Kapelle Maria in Linden

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Der Maler Balthasar Anton Dunker (1746–1807)

Das Bild, das zeigt, wie das französische Expeditionskorps 1799 die Reichtümer Helvetiens fortführt, stammt zwar nicht von Balthasar Anton Dunker selber, sondern ist bloss «im Stil» von Dunker gehalten. Dennoch lohnt sich ein Hinweis auf denselben.

Dunker, geboren 1746 im deutschen Vorpommern, machte sich einen Namen als Maler, Radierer und Schriftsteller. Die meiste Zeit arbeitete er in Bern. Er widmete sich der Landschaftsmalerei, setzte sich aber auch intensiv mit dem politischen Geschehen der Revolutionsjahre auseinander. Seine bemerkenswerten satirischen Werke gelten als früher Höhepunkt der politischen Karikatur in der Schweiz.

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Zum Beispiel Beromünster im Kanton Luzern: Wie es damals andernorts zuging

Das Chorherrenstift zu Sankt Michael in Beromünster hatte bereits ein halbes Jahr vor dem Eid auf die Helvetische Einheitsverfassung elf Kisten mit kostbaren kirchlichen Gegenständen nach Luzern auszuliefern, «zur sicheren Verwahrung», wie es hiess. Nach zwei Monaten kamen sechs der elf Kisten zurück. Der Rest war, zum blossen Silberpreis berechnet, grösstenteils eingeschmolzen worden. Damit nicht genug: Zur «freiwilligen Gabe für das Vaterland» von 26‘660 Gulden waren aus der Barschaft des Stifts nochmals 14‘000 Gulden zu leisten, dann nochmals 12‘000 Gulden, zwei Jahre später nochmals 21‘000 Gulden.
Anton Suter: Sie tanzten um den Freiheitsbaum. Beromünster in den Jahren 1798–1898. Beromünster 1997, S. 9-13
Kehrsiten, Kapelle Maria in Linden
Tanz um den Freiheitsbaum in Beromünster; künstlerische Darstellung von heute, augenzwinkernd orientiert an romantisierenden und karikierenden Vorlagen von damals. Musikanten und Bänkelsänger sind in jener Zeit an vielen Orten quellenmässig bezeugt, auch in der Westschweiz. Blick in den oberen «Flecken» Beromünster mit Schal (Verkaufsstelle) und Stiftskeller, später Stiftstheater, darüber die Stiftskirche St. Michael.
Illustration: Ludwig Suter, Beromünster

Kaspar Andacher, Ürtevogt, vom Landgut Widen

«Selbst unsere Leute wissen nicht alle, wo ich den Kapellenschatz und die Schuldbriefe versteckt habe.»
fiktive Aussage aufgrund ähnlicher Befunde
Kapelle Maria in Linden
Kapelle Maria in Linden, Kehrsiten, Gnadenbild, 1957 neu geschaffen
Kurt Messmer
«Die Muttergotteskapelle wurde zuletzt an diesem Tage abends 5 Uhr verbrannt. Alles ging dort im Raub und Rauch zu Grunde. Einzig die Monstranz, 1 Kelch, 2 Messgewänder und die Kapell-Lade mit Schriften und Gülten wurden in der obern Schwand in einem Felsenloch einstweilen versteckt und dann später in der Mettlen in den Kalchofen verborgen und gerettet.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 553f.

Geschichte weiterdenken

Wie geht eine Geschichte vergrabener Kostbarkeiten weiter, wenn von den Mitwissenden niemand mehr lebt?

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Andacher – eines der vielen Familiendramen von 1798

Aus der Liste der Gefallenen von Kehrsiten:

«1. Herr Uerthivogt Kaspar Andacher, 72 Jahre alt, Vater des damaligen Hrn. Kaplans, wurde im Landgut Widen, wo er wohnte, nahe bei seinem Stalle erschossen.

2. Joseph Andacher, Sohn des Obigen, 42 Jahre alt, Mattli-Joseph genannt, und Bruder des unten folgenden Jünglings Franz, Vater eines Sohnes und einer Tochter, mit seinem Bruder unter den Waffen in Kehrsiten, auf dem Hügel einer magern Weid ob dem See (Schellenwerch genannt), unweit dem Hüttenort, wo das erste Franzosenschiff mit Blut und Todten beladen landete; dort wurde er kämpfend in Hals geschossen, später über den Hügel hinabgestürzt und mit Bajonetten erstochen.»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 52

Der Abwehrkampf kostete dem 72-jährigen Vater, seinem Sohn Joseph, 42 Jahre alt, sowie seinem jüngeren Bruder Franz das Leben. Vater und zwei Söhne tot – ein Beispiel von vielen.

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Nicht mehr auffindbar: das ursprüngliche Gnadenbild der Kapelle Maria in Linden zu Kehrsiten

«1957 schuf Beat Gasser aus Lungern wieder aus Lindenholz eine würdige Muttergottes-Statue nach Gestalt des ursprünglichen Gnadenbildes, das auf alten Votivbildern überliefert war. Von den Gebrüdern Stöckli aus Stans wurde das Bild in Blattgold und Silber gefasst und von den Goldschmieden Otto Zweifel und Werner Epp geschmückt.

Das ursprüngliche Gnadenbild blieb seit 1798 verschollen. Die eine Überlieferung will wissen, die Franzosen hätten es im See versenkt, die andere meint, es sei mit der Kapelle verbrannt oder von den Einwohnern in Sicherheit gebracht worden. Aufgefunden wurde es bisher trotz Nachsuchens nicht.»

Josef Flüeler-Martinez: Nidwalden. Häuser – Kirchen – Leute und Kapellen. Basel/Buochs 2006, S. 137f.

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Das Boniloch als mögliches Versteck für den Kapellenschatz?

Als Boniloch bezeichnet wird eine kleine Höhle im steilen Schwandwald oberhalb Kehrsiten unweit des Fusswegs auf den Bürgenstock. Man weiss, dass sich Verteidiger und Angreifer beim Franzoseneinfall im Jahre 1798 auf diesem Weg verschoben haben.

Loch, Löchli in den Namen von Nidwalden kann für eine Vertiefung in den Boden, eine Höhle oder eine Geländekammer bzw. einen Geländekessel stehen. Wichtig ist oft auch, dass man eine Stelle von oben herab betrachtend als tiefe Mulde oder Senke empfindet.

Boniloch wird für Nidwalden mit Heuwloch erklärt, das ist eine Öffnung in der Decke des Stalls, durch welche man vom Heuboden aus dem Vieh Futter hinunterlassen kann. Es handelt sich wohl um eine einfache Übertragung des Sachwortes auf das Loch im Wald. Vergleiche dazu schweizerdeutsch Boni oder Booni, Heubühne, gleichbedeutend zu Buni, Büni.

nach Hug Albert / Weibel Viktor: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar, in 5 Bänden. Stans 2003
Boniloch
Es liegt in der Natur von Verstecken, dass kaum Angaben über ihren Standort gemacht werden. Heute, nach weit mehr als 200 Jahren, nach so vielen Generationen, ist es unmöglich, das Versteck des Kapellenschatzes von Kehrsiten genau zu lokalisieren. Immerhin können Ortskundige Vermutungen anstellen, wo das Versteck gewesen sein mag. Eine konkrete vermutete Lokalisierung, für die einiges spricht, ist das Boniloch bei Kehrsiten.
Fredy Barmettler

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Das Schicksal der Madonna von Stansstad

«Zu den verlorenen, gestohlenen, zerstörten, erbeuteten Objekten gehört auch die Marien-Statue von Stansstad. Über dem linken Seitenaltar der neuen Kirche von Stansstad (gebaut 1943) platzierte man eine Kopie der Muttergottes-Figur aus der alten Kapelle. Das Original wurde 1798 von den Franzosen in den See geworfen und von einem Fischer in Meggen geborgen. 1803 gelangte die Statue in einer feierlichen Veranstaltung auf dem Seeweg zurück nach Stansstad, wo sie bis in die 80er-Jahre des 19. Jahrhunderts ihren Platz in der Kapelle hatte. Später ging sie in Privatbesitz über.»
Ernst Jakob Blättler: Aus der Geschichte der Seelsorge in Stansstad. Hergiswil 1993

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Rettung des Korporationsarchivs

«Herr Genossenschreiber Franz Joseph Gut verbarg eben damals das wichtige Genossenarchiv von Stans auf der Engelbergmatt in der Kniri im dortigen Stalle neben dem Walde und rettete dasselbe zum Segen der ganzen Korporation.»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 153

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Abenteuerliche Geschichten um vergrabene Schätze

Zu allen Zeiten brachten Menschen in Not und Gefahr Kostbarkeiten aller Art in Sicherheit. Auch in Kehrsiten wird es nicht anders gewesen sein. Kaspar Andacher, der als Uertivogt ein öffentliches Amt bekleidete und dessen Sohn die Kaplanei Kehrsiten versah, könnte doch die geweihten Geräte und Kostbarkeiten der Kapelle vor dem Franzosensturm in Sicherheit gebracht haben, oben im Steilhang, in einer Mulde, die leicht zu tarnen war.

Davon sollten zum einen nicht alle wissen, zum andern doch so viele, dass nach überstandenem Schrecken noch jemand wusste, was wo versteckt worden war. Zahlreiche Schatz- und Hortfunde sind gerade deswegen zusammengeblieben und wurden teils erst nach Jahrhunderten zutage gefördert, weil niemand mehr Kenntnis hatte vom betreffenden Versteck.

Der Goldschatz von Erstfeld
Der Goldschatz von Erstfeld – um 300 v. Chr. vergraben, 1962 bei Erstfeld UR entdeckt
Wikipedia

Ein bedeutender Silberfund in Augusta Raurica (Kaiseraugst BL) geht auf das 4. Jahrhundert zurück. Ein anderer Fund, entdeckt bei Murten FR, stammt aus der Zeit der Burgunderkriege, jener von Neunkirch SH aus der Zeit des Schwabenkriegs und schliesslich jener von Tschlin GR aus der Zeit des Dreissigjährigen Kriegs.