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Trittweid

Goldboden

Der Grabacher-Grat diente dem legendären Schütz Christen und seinem Trupp als letzte Verteidigungsposition. Als die Nidwaldner selbst diese Verteidigungsstellung räumen mussten, war die Entscheidung auch auf dem Bürgenberg gefallen. – Der Orts- und Flurname Goldboden ist eine junge Bezeichnung, die hergeleitet wird vom Herbstlaub, das hier oft in grossen Mengen am Boden liegt und im warmen Licht der Sonne goldfarben erscheint. Bei den Einheimischen ist der Ort heute bekannt als Umschlagplatz für die Holzwirtschaft.
Goldboden
➛ Pierre Dumanet, de Paris, Chasseur
➛ Schütz Christen, von Wolfenschiessen

Pierre Dumanet, de Paris, Chasseur

«Als sechs oder sieben von uns vor einem einzigen dieser wütenden Nidwaldner weichen mussten, war endgültig klar, mit wem wir es zu tun hatten. Und als ich einmal etwa zwanzig junge Frauen, noch fast Mädchen, tot in einer Reihe liegen sah, auf ihren blutigen Sensen, drehte sich mein Verstand um, und ich durchraste den Bürgenberg wie ein Besessener.»
nach Gottfried Keller: Verschiedene Freiheitskämpfer. Zürich 1863
Helvetische Trikolore
Helvetische Trikolore, mit Tell und seinem Sohn Walter (Ausschnitt)
Nidwaldner Museum, Stans
«Meine Mutter fiel bei einem Massaker der Französischen Revolution. Mein Vater fand den Tod beim Erstürmen der Tuilerien, im Kugelhagel der Schweizer Garde, die das Königsschloss verteidigte. Nun bin ich als Soldat in der Schweiz, im Kampf gegen ein Volk, das sich dem Glück einfach nicht fügen will! Ich habe die Schweiz, dieses mir fremde Land, anfänglich wohlmeinend betreten. Unsere Vorgesetzten warnten uns vor diesen Störrigen und Unwissenden, die partout nichts von der Freiheit wissen wollen. Dabei haben sie ihren Meisterschützen Wilhelm Tell im Wappen, der auch für die Freiheit gekämpft hat!»
nach Gottfried Keller: Verschiedene Freiheitskämpfer. Zürich 1863

Geschichte und Geschichten

«Bereits mit sechzehn Jahren nahm ich 1789 an der Erstürmung der Bastille teil. Dieser Sturm wurde zum Auftakt der Französischen Revolution. Im September 1792 war ich als 19jähriger mit dabei, als preussisch-österreichische Truppen auf französisches Gebiet vorrückten und es in Frankreich zu einer Massenhysterie kam. In blinder Wut wurden über 1200 Gegner der Revolution massakriert. Diese sogenannten Septembermorde waren fürchterlich und verfolgten mich nachts in meinen Träumen. Häufig plagte mich mein Gewissen. Das zwang mich, bei den Revolutionstruppen auszuharren. Sonst hätte ich mich noch ganz verabscheut. Immer wieder musste ich mir selber einhämmern: Ich bin ein Vorkämpfer der einen und wahren Völkerfreiheit!»
nach Gottfried Keller: Verschiedene Freiheitskämpfer. Zürich 1863

Geschichte weiterdenken

Setzt Pierre Dumanet mit seinem Kampf am Bürgenberg fort, was seine Mutter und sein Vater in Paris im Kampf für die Französische Revolution begonnen haben?

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1

Zur Helvetischen Trikolore

Die alte Eidgenossenschaft der 13 Orte war ein ausgeprägter Staatenbund. Eine gemeinsame Fahne gab es in der Schweiz vor 1798 nicht. Das weisse Kreuz im roten Feld wurde als Erkennungszeichen in der Schlacht zwar bereits im Spätmittelalter verwendet, aber erst 1815 zum offiziellen Schweizer Wappen.

Die Helvetische Republik brachte 1798 als Einheitsstaat eine erste gesamtschweizerische Fahne hervor, die bis 1803 Bestand hatte: eine Trikolore nach französischem Vorbild, aber in den Farben grün, rot und gelb. Offiziell eingeführt wurde die Helvetische Trikolore am 13. Februar 1799.

Älplerfahne der Helvetik. Die Farben grün, rot, gelb sind zwar stark verblichen. Die Aufteilung der Fahne verweist dennoch deutlich auf das Vorbild, die französische Trikolore. Die Nidwaldner Älplerfahne von 1799 ist die einzige erhaltene helvetische Trikolore mit der Darstellung von Tell und seinem Bübchen Walter. Sie wird gezeigt in der Dauerausstellung «Mutig – Trotzig – Selbstbestimmt. Nidwaldens Weg in die Moderne» im ehemaligen Salzmagazin in Stans.
Nidwaldner Museum, Stans
Helvetische Trikolore

Die Farben der Schweizer Trikolore wurden mit Bedacht gewählt. Mit Grün erwies man der Waadt die Ehre, weil die Helvetische Revolution dort ihren Anfang genommen hatte. Für die Waadtländer war die grüne Farbe ein Symbol der Hoffnung und des Frühlings. Zudem hatten selbstbewusste Gemeinden der Waadt mit dieser Farbe bereits vor der Revolution ihr Selbstbewusstsein zum Ausdruck gebracht.

Ebenso bemerkenswert die Botschaft, die den weiteren Farben zugedacht war. Rot und Gelb nahmen direkten Bezug zu den Urkantonen, was sich allerdings als politische Fehlkalkulation erwies, da die Innerschweizer Orte gegen die Helvetik Widerstand leisteten.

Es mag auf den ersten Blick verwirren, dass Wilhelm Tell auf der Trikolore als Symbolfigur der Helvetischen Republik erscheint, wie er seinen Sohn Walter nach dem Apfelschuss empfängt. Aber Tell sollte hier den Kampf der Helvetischen Republik gegen die Aristokratie verkörpern. Auch die Kleidung Tells greift die Farben grün, rot, gelb auf. Daneben sind die Hauptbotschaften der Französischen Revolution zu lesen: Freiheit und Gleichheit.

Heinrich Zschokke (1771–1848), ein deutscher Schriftsteller, Volksaufklärer und Vorkämpfer liberaler Ideen, der sich in der Schweiz einbürgern liess, übernahm in der Helvetik verschiedenste politische Ämter. So war er von Mai bis September 1799 Distriktskommissär von Stans. Es ist denkbar, dass Zschokke die Älplerfahne dem Distrikt Stans bei seinem Abschied – ziemlich genau ein Jahr nach dem Franzoseneinfall – als versöhnliches Zeichen schenkte.

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Kann eine literarische Darstellung «besser» sein als eine historische Quelle?

«Dichtung und Wahrheit» soll man auseinander halten. Allerdings ist dabei Vorsicht geboten, so etwa bei gewissen literarischen Texten von Gottfried Keller. Seine grossartige Erzählung «Verschiedene Freiheitskämpfer» über den Franzoseneinfall von 1798 kann im strengen Sinn zwar nicht als historische Quelle durchgehen. Im Jahre 1863 geschrieben, ist der Text nicht zeitgleich mit den Ereignissen der Helvetischen Revolution entstanden. Es handelt sich nicht um ein Protokoll, um eine sachliche Beschreibung mit Angabe von Quellen und dergleichen mehr.

Allerdings ist unverkennbar, dass sich Gottfried Keller auf Quellen und Darstellungen jener Zeit stützte und sich in der Materie hervorragend auskannte. Kommt dazu, dass alles andere als ein einseitiges Bild entstanden ist, im Gegenteil. Wie Keller jene Zeit, die Umstände, Ereignisse, Personen, ihr Denken und Handeln stets aufs Neue von verschiedenen Seiten ausleuchtet, stünde jeder historischen Abhandlung sehr wohl an.

Die Frage, ob Gottfried Keller mit seiner fiktiven Erzählung der historischen «Wahrheit» näher komme als andere Quellen, ist also nicht ganz abwegig. Zu berücksichtigen ist ferner, dass Gottfried Keller Staatsschreiber des Kantons Zürich war, historisch bewandert wie wenige seiner Zeit, interessiert, gebildet, belesen und mit Quellen vertraut. Sein Text ist und bleibt fiktiv, ist aber von einer eindrucksvollen Glaubhaftigkeit, ein überzeugendes Deutungsangebot.

«Die Kapelle unserer Lieben Frau wurde um 1616 an der Stelle erbaut, wo zwei Fischern vier Jahre zuvor in dem Geäst zweier Lindenbäume die Muttergottes erschienen sein soll. Um 1674 fand eine bedeutende Reparatur der Kapelle statt, zu welcher der Landrat vier kleine Eichen und eine Tanne bewilligte. 1753 erlaubte der Landrat die Stiftung einer ständigen Seelsorge.»
Kehrsiten, Kapelle Maria in Linden
Karl Stauffer, Porträt Gottfried Keller, 1886
Wikipedia

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Leichengestank

Wer sich die konkrete Situation am Bürgenberg vorstellt oder besser: Wer sich selber in dieses Gelände begibt, den Aufstieg vom Vierwaldstättersee hinauf zum Schiltgrat und Bürgenstock bewältigt, wird sich vorstellen können, dass vor allem die Angreifer, die Franzosen, grosse Verluste an Menschenleben in Kauf nehmen mussten. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass sowohl die französischen Angreifer beim Vorrücken als auch die Nidwaldner Verteidiger auf dem Rückzug immer wieder die Deckung aufgeben mussten. Vor diesem Sachverhalt ist der folgende Bericht zu verstehen.

Als im Spätjahr 1798 der Buchwald im Schallenwerch abgeholzt werden sollte, am Nordhang zum Vierwaldstättersee hin, mussten die Holzer ihre Arbeit zeitweise einstellen. Der Grund dafür war ein enormer Gestank, der von toten Franzosen stammte, die man in die Waldgräben und Holzzüge geworfen hatte und die dort verwesten.

nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 54

Schütz Christen, sesshaft im Zelgli in Wolfenschiessen

«Als die Franzosen in Kehrsiten landeten, kämpfte ich mit meinem Zielstutzer vorerst beim Hüttenort. Aber der Gegner drängte uns bergauf. Etwa zu zehnt zogen wir uns schliesslich auf den Grabacher-Grat zurück. Hier konnten wir uns vorerst behaupten.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 398 und 402
Schütz Christen
Schütz Christen, kaum jemand verkörpert den Widerstand in Nidwalden 1798 wie dieser Meisterschütze. Gemälde von Theodor von Deschwanden (1826–1861) aus dem Jahre 1856 (Ausschnitt)
Nidwaldner Museum, Stans
«Ich, Kaspar Joseph Christen von Wolfenschiessen, sei einer der besten Schützen im Land – wer das behauptet, hat wohl nicht ganz Unrecht. Jedenfalls musste ich meine Gewehre meist nicht selber laden. Denn mit Laden ging viel Zeit verloren. Ist man allein auf sich gestellt, kommt man in einer Minute kaum mehr als vier Mal zum Schuss. Soll es schneller gehen, braucht man Lader. Ich hatte vier Mann um mich, die dauernd je ein Gewehr luden. Sie luden, ich schoss. Damit erreichten wir die grösste Wirkung.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 403

Geschichte und Geschichten

«Schütz Christen wurde im Dickbein blessiert und schoss, auf dem Boden sitzend, immer fort. Dann trug ihn Gabriel Würsch auf den Grat. Leg mich ab, sagte er, und geh dich zu wehren oder zu fliehen. Gabriel hatte vom Laden rauhe Hände. Christen gab noch seinen Stutzer dem Anton Ändacher zum Geschenk. Von den Feinden aufgegriffen, hieben sie ihm die Hände ab, gaben ihm einen Seitenstich und einen Schuss. Zuletzt schnitten sie ihm den Kopf weg und hieben den Leib in Stücke und Riemen. Solche Helden sind doch des Andenkens würdig!»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 66

Geschichte weiterdenken

Was für Auswirkungen hat die Erzählung vom Tod von Schütz Christen auf das Bild, das wir uns vom Franzoseneinfall machen?

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1

Schütz Christen – ein Historienbild wie aus dem Lehrbuch

Schütz Christen
Schütz Christen, kaum jemand verkörpert den Widerstand in Nidwalden 1798 wie dieser Meisterschütze. Gemälde von Theodor von Deschwanden (1826–1861) aus dem Jahre 1856
Nidwaldner Museum, Stans

Was für ein Kontrast! Grösser könnte der Gegensatz nicht sein: Hier ein Bild voller Sentimentalität, von Theodor von Deschwanden, gemalt 1856 – dort ein Text voller Grausamkeit, von Franz Joseph Gut, geschrieben 1862.

Schütz Christen im Festtagsgewand, mit weissem Hemd, Puff-Ärmeln und Halstüchlein, Wams, feinen Kniehosen, Strümpfen und Schnallenschuhen. Ein Jüngling ist eben daran, ein zweites Gewehr zu laden. Im Mittelgrund rechts liegt ein erschossener Franzose. Das Büblein zeigt auf die Gegenseite, wo sich ein Franzose mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett nähert. Schütz Christen hat seine Waffe bereits zur Hand. Alle drei Nidwaldner erscheinen als Lichtgestalten, die Franzosen dagegen als dunkle Mordbuben.

Es gibt Bildquellen, die über den dargestellten Sachverhalt selber kaum etwas Verlässliches aussagen, viel dagegen über den betreffenden Maler und seine Zeit. Man spricht von «Historienbildern». Mit einem solchen haben wir es hier zu tun. Der Stanser Theodor von Deschwanden malte 1856 ein Ereignis von 1798. Das Bild zeichnet sich – für ihn typisch – durch Detailtreue und Naturnähe aus und rückt mit seiner gefühlvollen Art in die Nähe der Heiligenbilder. Das wird etwa erkennbar bei einer Gegenüberstellung mit Bild «Die Unterweisung von Maria» im Nidwaldner Museum in Stans. Dieses Werk ist etwa zeitgleich mit dem Bild von Schütz Christen entstanden.

Das gefühlvolle Bild Deschwandens vom Meisterschützen hat wohl viel zur Popularität von Schütz Christen beigetragen, damit zu prägenden Vorstellungen von den Ereignissen am 9. September 1798. Allerdings wird diese Darstellung dem damaligen Kampfgeschehen nicht gerecht.

Die Unterweisung von Maria
Theodor von Deschwanden, Die Unterweisung von Maria
Nidwaldner Museum, Stans

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Der Schädel von Schütz Christen?

Gemäss Franz Joseph Gut, der 1862 sein ebenso umfangreiches wie grundlegendes Werk über den Franzoseneinfall verfasste, wurde Schütz Christen dort begraben, wo er getötet wurde, auf dem Goldboden beim Grabacher-Grat, unweit der heutigen Hotellerie Bürgenstock. «Sein Kopf, bezeichnet mit einem Loch und Säbelhieben, steht im Beinhaus zu Wolfenschiessen», heisst es weiter.

Nach der Renovation der Kirche und des Beinhauses wurde die Schädelstätte im Beinhaus verkleinert. Danach fehlte der Platz für den Schädel von Schütz Christen. August Christen, genannt «Gerber Gusty», hörte das und nahm den Schädel in seine Obhut. Demnach wäre es also August Christen zu verdanken, dass dieses Andenken nicht verloren ging.

Diese Informationen sind mit Vorsicht aufzunehmen. Warum sollte ausgerechnet der Schädel einer verehrten Heldenfigur keinen Platz mehr gefunden haben? Wissenschaftlich untersucht und bestätigt wurde diese Annahme jedenfalls bisher nicht.

Schädel von Schütz Christen
Der angebliche Schädel von Schütz Christen, stark zertrümmert
Fredy Barmettler / Leo Odermatt

3

Die familiäre Herkunft von Schütz Christen

Der Vater von Schütz Christen bewirtschaftete die Liegenschaft Zelgli in Wolfenschiessen und war Spalenmacher und Küfer. Über Jahrhunderte hinweg war Holz als Werkstoff im Alltag vielerorts wichtiger als Stein. Dem entsprechend fächerte sich der berufliche Umgang mit Holz auf. Zimmermann, Schreiner, Küfer, Drechsler, Wagner, Brunnenbauer, Rechenmacher usw. wurden zu eigenen Berufssparten.
Das Ständebuch von 1568
Ich Zimmermann mach starck gebeuw
Das Ständebuch von 1568
Ich bin ein Schreinr von Nuerenberg
Das Ständebuch von 1568
Ich mach Raeder Waegen und Kaerrn
Das Ständebuch von 1568
Ich dreh von Buchs-baum buechsslein klein
Darstellungen aus: Jost Amman: Das Ständebuch von 1568. 133 Holzschnitte mit Versen von Hans Sachs und Hartmann Schopper. Leipzig 1975, S. 87–91
Spalen werden aus gespaltenen Holzprügeln gemacht. Aus anfänglich noch groben Holzstücken fertigt man Dauben oder Spalen, die mit Haselruten zusammengebunden und mit Boden und Deckel versehen werden. Spalenfässer waren neben Ballen die traditionellen Gebinde für den Transport, so zum Beispiel von Sbrinz-Käse über die Sbrinz-Route von Obwalden über Brünig, Grimsel und Griespass nach Domodossola. In einem Spalenfass wurden 4–5 Laib Käse zu zirka 15 kg befördert. Das Spalenfass war ein Einweggebinde.

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Wie bereiteten sich die Nidwaldner auf den Kampf vor?

«Die Bewaffnung der sämmtlichen Milizen bestund in Zielstutzern, Musketen, Geradezuggewehren, die sich besonders gut bewiesen, Thierrohren, Flinten und sogenannten Karabinern, Doppelhacken usw. und in Schlagwaffen aller Art.

Auf den meisten Höhen und Bergen waren Steinmassen angehäuft, um sich derselben bedienen zu können, und die auf Obbürgen und Ächerli vorzüglich vortheilhaft wirkten. Die Truppen lagerten in Häusern, Ställen, Sennhütten, Baraken und in Wäldern, oder aber im Freien, und ernährten sich mit Wein, Brod, Fleisch, Brantwein, auch von Milch, Kaffee, Käse, Erdäpfeln usw. Jeder Posten hatte seine Proviantträger. Ueberall war hiefür weislich gesorgt. Beim Kabisstein, wo eine Menge logirten, konnte sich jeder Soldat um 1 Batzen mit Suppe und Erdäpfeln genug sättigen. Auf der kleinen Mühle in Stansstad bewirthete Frau Veronika Flühler die Wehrmänner sehr gut.

Das waren nun die Anstalten, die der Kriegsrath in Nidwalden in wenigen Tagen zur Verteidigung des Landes getroffen hatte. Der gute Wille des Volkes half mit, überall arbeitete es thätig. Zeit und Umstände erlaubten kaum Mehreres zu tun. Wer keine Waffen hatte, der suchte dadurch zu nützen, dass er Patronen verfertigte, schanzte, Proviant tragen oder den besten Schützen laden half, damit sie ohne Unterbruch schiessen konnten. Die Knaben halfen mit jauchzendem Lärm aus dem Zeughause die Kanonen auf die Schanzen hinziehen und aufführen. Wären Obwaldens Geschützstücke und Gewehre, anstatt in den Händen der Feinde, annoch in jenen ihrer Mitbrüder gewesen! Wenigstens diese Hilfe und die von Partikulargewehren wäre erwünscht und theuer schätzbar gewesen!»

Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 335

5

Wie wurde um 1798 Krieg geführt?

Europäische Grossmächte der damaligen Zeit – allen voran Frankreich, Preussen, Österreich, Russland – unterhielten Berufsarmeen. Staatliche Reitschulen sorgten für militärische Verbände, die im Gefecht wendig waren. Die Soldaten standen in mehreren Reihen hintereinander und schossen breit streuende Salven, die einen kniend, die andern über sie hinweg. Rückten sie vor, geschah das als Infanteriewalze, was teilweise noch bis zum Ersten Weltkrieg praktiziert wurde. Zu diesem walzenartigen Vorrücken kamen Scharfschützen. Das waren 1798 im französischen Heer die «Chasseurs», die «Jäger».

Es war ein wichtiges Kennzeichen der eidgenössischen Orte, dass sie nicht stehende Heere unterhielten. Das wäre finanziell nicht möglich gewesen, vermutlich politisch auch nicht durchsetzbar. Die Nidwaldner setzten beim Franzosenüberfall vor allem auf ihre Scharfschützen. Der bekannteste unter ihnen war Schütz Christen. Die Kampfführung wurde personell und materiell den Möglichkeiten angepasst, das Gelände optimal ausgenützt.

Ein Stutzer, wie er in Nidwalden 1798 zum Einsatz kam. Gewehrläufe zu produzieren, erforderte einen hohen technischen Stand. Solche Läufe mussten aus Deutschland eingeführt werden. Einheimische Büchsenmacher gab es nur wenige.

Mit dem Ladestock mussten die Gewehre geladen werden, eine Handbewegung, die Sorgfalt verlangte. Dennoch schätzt man, dass etwa ein Drittel der Schüsse nicht losging.

Stutzer
Die Nidwaldner Scharfschützen bekämpften die anstürmenden Franzosen teils mit Kugeln, teils mit verschiedenen Schrotarten, Hagel und Fuchsenbollen. Zum Teil wurden Kugeln selber gegossen, so auch Zäpfchenkugeln, die besonders verheerende Wirkung hatten.
nach Angaben von Leo Odermatt, Stans

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Die Unterwaldner: heldenhaft oder unbesonnen?

Schütz Christen
Der schröckliche Tag am 9ten September des Jahrs 1798 in Unterwalden, von wirklichen Augenzeugen ächt beschrieben 1799
Staatsarchiv Nidwalden, Stans

«Der Ruf von den mörderischen Gefechten, welchen den 9ten September des verflossenen Jahres in dem Kanton Unterwalden zwischen dem Landvolke und den Franzosen vorgefallen, erregte, so wie er sich verbreitete grosses Aufsehen.

Ueberhaupt sprach man mit Entrüstung über diese schauervolle Mordszene, bedauerte das Schicksal des unglücklichen Unterwaldens, und verabscheuete die tiegermässige Wuth der Franzosen, und des helvetischen Direktoriums. Doch da dem verehrlichen Publikum zuverlässige und vollständige Nachrichten mangelten, so waren die Urtheile auch derjenigen, die noch christlich gesinnet, und für die gute Ordnung der Dinge gestimmt waren, getheilt. Einige rühmten die Unterwaldner als Helden, welche mit Tellens Muth und Winkelriedens Entschlossenheit, ihrer tapferen Ahnen würdig, für die wahre Freyheit und ihre ihnen noch kostbarere Religion unerschütterlich gefochten; andere hingegen tadelten sie in dem, dass sie zu vermessen gehandelt und unbesonnen in die schreckenvolle Uebel des Krieges sich hineingestürzt hätten.»

Staatsarchiv Nidwalden, Stans

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1898 – Wie nachdenklich darf uns das «Überfall-Denkmal» machen?

Trauer, Schmerz, Verzweiflung
nicht ausgeführt – Trauer, Schmerz, Verzweiflung
Eduard Zimmermann (1872–1949)
Entwurf zum «Überfall-Denkmal» 1898
Nidwaldner Museum, Stans
Zimmermann nahm mit der Form des Dreiecks und den drei Personen direkt Bezug auf das Bild von Deschwanden und das Winkelried-Denkmal in Stans, wählte aber für Inhalt und Stimmung einen anderen Ausdruck.
antikisches Helden-Denkmal
ausgeführt – antikisches Helden-Denkmal auf dem Allweg
Der Hergiswiler Steinhauer Zgraggen schuf ein Denkmal in Form eines Obelisken – ähnlich den Denkmälern im Grauholz 1886 und in Näfels 1888. Die Einweihung erfolgte erst 1900.
Nidwalden Tourismus
Eduard Zimmermann
Eduard Zimmermann (1872–1949)
Wikipedia
Eduard Zimmermann, 1872 in Stans geboren, gestorben 1949 in Zollikon, war ein bedeutender Bildhauer seiner Zeit. Davon zeugen zahlreiche Aufträge für Figuren im öffentlichen Raum, für Denkmäler, Gräber und Porträtbüsten. Für die Jahrhundertfeier von 1898 übertrug ihm die Regierung von Nidwalden den Auftrag für ein Denkmal. Das Projekt kam aber nicht über den Entwurf hinaus, da sich die politisch Verantwortlichen über die von Zimmermann vorgeschlagene Arbeit nicht einigen konnten. Realisiert wurde schliesslich das Obelisk-Denkmal im Ortsteil Allweg von Ennetmoos, ausgeführt vom Hergiswiler Zgraggen. Für Zimmermann blieb 1898 nur eine Festmedaille für das Schützenfest.

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Schütz Christen auf der Fahne des Feldschiessvereins Obbürgen

Vereinsfahne des Feldschiessvereins Obbürgen aus Anlass des 30-jährigen Bestehens im Jahre 1944. In den Jahren des Zweiten Weltkriegs wurde Schütz Christen im Sinne der Geistigen Landesverteidigung erst recht zu einem Symbol des Widerstands.
Fahne des Feldschiessvereins Obbürgen von 1970. Nach wie vor ist die Gruppe mit Schütz Christen eine getreue Umsetzung des Gemäldes von Theodor von Deschwanden aus dem Jahr 1856. Die Umgebung ist aber nicht mehr der Goldboden, sondern wie schon 1944 die ehemalige Kapelle.
Schützenhaus
Das Schützenhaus des Feldschiessvereins Obbürgen, errichtet 1955, geschlossen 2002, abgebrochen 2013

Der Feldschiessverein Obbürgen wurde am 8. Febr. 1914 gegründet. Am Anfang wurde noch von der Natursteinmauer hinter dem Schiessstand über das Tal geschossen, daher kommt der Name Feldschiessverein. 1955 wurde ein einfaches massives Schützenhaus errichtet. Die Lärmschutzverordnung erreichte auch die Schiessanlage Obbürgen. Am 31. März 2002 wurde sie geschlossen und Ende 2013 abgebrochen. Für das Weiterbestehen des Feldschiessvereins Obbürgen und der Schützengesellschaft Stansstad unterzeichnete der Gemeinderat Stansstad mit der Verwaltung der Gemeinschaftsschiessanlage Emmetten/Seelisberg 2002 den Mietvertrag für die Mitbenützung. Eine bewegte Vereinsgeschichte im Zeichen vom Schitz Christä geht weiter.

Der grösste Erfolg für den Feldschiessverein war, als am traditionellen Rütlischiessen 2018 Beat Odermatt von der Rütli-Ortsgruppe-Obbürgen auf der Rütliwiese als Tagessieger ausgerufen wurde, mit Meisterbecher und als Gewinner von Bundesgaben. Aktuell hat der Verein 25 Mitglieder.

Angaben und Fotos von Fredy Barmettler, Fürigen, derzeit Präsident des Feldschiessvereins Obbürgen

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Farben werden namengebend: der Goldboden

Das fünfbändige Lexikon der Nidwaldner Orts- und Flurnamen führt die Bezeichnung Goldboden nicht auf. Bei den Einheimischen ist der Name jedoch bekannt und kann wie folgt hergeleitet werden: Im Herbst, wenn dort viel Laub am Boden liegt, erscheint der Ort im warmen Licht der Herbstsonne als Goldboden. Heute ist dort ein Umschlagplatz für die Holzwirtschaft. Die «Erinnerungswege am Bürgenberg» machen den Goldboden, der Schütz Christen 1798 als Stellung diente, zum Erinnerungsort. Wenn wir an Ort und Stelle stehen, wo sich ein historisches Ereignis zugetragen hat, wird die Vergangenheit besser vorstellbar.
Goldboden
Goldboden
Zweimal Goldboden: einmal als Werkplatz für die Holzindustrie, einmal im goldenen Herbstlicht
Angaben und Fotos von Fredy Barmettler, Fürigen, 29. März 2020

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Zum Flurnamen Grabacher

Namen mit schweizerdeutsch Acher, Ächerli beruhen in der Regel auf ehemaligem Ackerbau an den entsprechenden Stellen. Acher-Namen können auch relativ jung sein. So bemerkten die Gewährsleute in der Gemeinde Hergiswil, dass bei Namen auf Acher in ihrer Gemeinde zu beachten sei, dass solche Stellen im Ersten und im Zweiten Weltkrieg beackert worden seien, und zwar teilweise mit Korn, aber auch mit Kartoffeln. Ein Teil der entsprechenden Namen habe aber früher schon so gelautet.

Das Beiwort Grab- ist zum Verb graben zu stellen. In der Komposition erscheint nur mehr der Stamm des Verbs. Das Bedeutungsmotiv liegt im Umgraben des Bodens, wohl eines eher leicht zu bearbeitenden Bodens. Zudem ist naheliegend, dass der untere, flache Teil des Hofes namenbestimmend gewesen sein muss. Das Nomen Graben als Beiwort anzusetzen ist problematischer, weil sich topographisch dazu kein Ansatz findet.

nach Hug Albert / Weibel Viktor: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar, in 5 Bänden. Stans 2003