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Ober Zingel

Ober Zingel

Die Franzosen erkämpften den Bürgenberg über zwei Routen: von Kehrsiten-Hostettli zur Trittweid hinauf und vom Hüttenort-Rüteli über den Oberen Zingel und die Wolfsgrube auf den Grat. Das Gebiet umfasste ehemals drei Höfe unterhalb einer lang gezogenen kahlen Felswand in steilem Waldgelände. Die Form dieses felsigen Geländes ist vergleichbar mit einem Gürtel. Der Name Zingel stammt vom lateinischen «cingulum», was Gürtel bedeutet.
Ober Zingel
➛ François Raimond
➛ Aloisi Allweger, Bauer auf Obbürgen

François Raimond

«Die Nidwaldner haben da oben eine günstige Stellung. Wir müssen sie seitlich umgehen, sonst bleiben wir stecken!»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 403
Landeskarte
Landeskarte, hervorgehoben die Umgehung Geissweg oder Schneggen, die von den Franzosen benützt wurde, um dem Engnis Wolfsgrube auszuweichen
«Als wir die drei Zingel hinaufstiegen, brannten wir alle drei Häuser und die vielen Ställe ab. Aber es hatten sich hier noch Nidwaldner verschanzt. Wir erlitten entsetzliche Verluste. Von unseren rund 200 Leuten, die im Zingel gelandet waren und die Berghalde, den Zingelrain, hinaufstiegen, schaffte es nur ein Teil über den Grabacher-Grat bis in die Weide hinüber.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 400–402

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Kommentar zum Ortsnamen Schneggen (Geissweg)

«Abgestützt auf Auskünfte der Jäger, ist der Schneggen (Geissweg) eine Verbindung vom Ober Zingel zum Goldboden, wie auf der Karte der Wegmarke eingezeichnet. Dieser sehr steile Pfad wird von den Gämsen benutzt, um im oberen Teil der Liegenschaft Ober Zingel zu grasen (futtern) und sich im angrenzenden Wald der Nordflanke zu verschieben – ein gutes Jagdgebiet.

Als die Franzosen vom Ober Zingel Richtung Wolfsgrube zogen und dort auf heftigen Widerstand stiessen, versuchten einige irgendwo zwischen den Felsen auf den Schiltgrat (Grabachergrat) zu gelangen. Der sogenannte Schneggen bot dazu die Möglichkeit, und so gelangten sie zum Goldboden, praktisch vor den Gewehrlauf von Schütz Christen. Diese Geschichte und ihr Ausgang sind ja bekannt.

Noch Jahre nach dem Franzoseneinfall erzählten sich die Jäger, dass sie auf der Jagd in diesem Gelände und Gebiet über Totenschädel und Gebeine gestolpert seien. Wenn man die örtliche Situation aus Sicht der Angreifer beurteilt, muss dieser Weg stimmen.»

Informationen von Fredy Barmettler, Initiant der «Erinnerungswege» und Mitglied des Projektteams, Fürigen, 26. März 2020

Aloisi Allweger, Bauer auf Obbürgen

«Was wird aus meiner Klara, wenn ich nicht mehr heimkomme? Wir sind erst seit drei Tagen verheiratet!»
nach Gottfried Keller: Verschiedene Freiheitskämpfer. Erzählung, 1863
Winkelrieds Capelle am Allweg
Winkelrieds Capelle am Allweg, nach Natur gezeichnet von Johann Heinrich Meyer, 1800
Zentralbibliothek Zürich
«Gerade in den Tagen der einbrechenden Ereignisse war mein Sparschatz gross genug zur Gründung eines bescheidenen Hauswesens geworden. Hoch am Bürgen stand mein kleines Haus. Unter dem Läuten der Sturmglocken wurden wir von einem bewaffneten Priester getraut. Ich war siebenundzwanzig Jahre, Klara kaum vierundzwanzig.»
nach Gottfried Keller: Verschiedene Freiheitskämpfer. Erzählung, 1863

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Zum Flurnamen Zingel

Gebiet mit ehemals drei Höfen unterhalb einer lang gezogenen kahlen Felswand in steilem Waldgelände, dem Zingeltossen. Auch von der Seite des Hüttenorts sieht man unterhalb des Zingels einen längeren Felsstreifen im Wald.

Zingel stammt vom lateinischen cingulum, was Gürtel bedeutet. Der Name Zingel bezeichnet immer Stellen, die ober- oder unterhalb eines kahlen und markanten Felsstreifens, einer Fluh, liegen. Zingel muss sich also ursprünglich auf solche Fluhstreifen bezogen haben. Später erfolgte die Übertragung auf das in der Nähe liegende Gelände, das eine Alpweide, ein Hof usw. sein kann.

Eine Quelle aus dem Jahr 1618 enthält den Hinweis: «sin guott, der Zingeell genambt, stost obsich an Schilt, nitsich an see, hindersich an waldt».

In einer Sagenedition in Nidwaldner Mundart heisst es: «Ubere Zingel sind zäche Tag derna d‘Franzose ufe Birge cho.» Namengebend dürfte die obere Felswand gewesen sein.

nach Hug Albert / Weibel Viktor: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar, in 5 Bänden. Stans 2003

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Eine gespenstische Hochzeit

«Als Klara und ich getraut wurden, läuteten nicht die Hochzeitsglocken, sondern die Sturmglocken, die alle eindringlich unter die Waffen riefen. Selbst der Priester war bewaffnet. Die Hochzeitsgäste trugen Gewehre und Flinten, aber keiner tat einen Schuss, um das Pulver für den bevorstehenden Kampf gegen die Franzosen zu sparen.

Unsere Verteidigungsstellung in Kehrsiten, die ich mit wenigen anderen besetzte, bestand aus Balken und Steinen. Wir wurden gleichzeitig vom See und vom Lande her angegriffen, sodass wir Schritt für Schritt zurückweichen mussten, den Bürgenberg hinan. Zwar trafen wir die anstürmenden Franzosen mit unseren Kugeln oder wälzten Wurzelstöcke und Felstrümmer auf sie hinunter. Aber die Übermacht der Gegner war zu gross. – Ich selber überlebte, aber Klara wurde erstochen. Mein Leben war von Stund an ruiniert. Ich hatte keine Kraft und Lebensfreude mehr.»

nach Gottfried Keller: Verschiedene Freiheitskämpfer. Erzählung, 1863

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«Unterwaldner Heldenmädchen»

Die Kinder Winkelrieds
Die Kinder Winkelrieds, Lithografie, um 1850
Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern, Graphische Abteilung

Mit dieser Druckgrafik verfolgt der unbekannte Künstler 50 Jahre nach dem Ereignis vom 9. September 1798 zwei Ziele. Zum einen werden die Franzosen als erbarmungslose Gesellen dargestellt, die auch vor dem Hinmorden von Frauen und Mädchen nicht Halt machen. Zum andern stilisiert er die Opfer zu «Heldenmädchen». Die französischen Soldaten kämpfen mit Gewehren, aufgepflanzten Bajonetten und Säbeln, die Frauen, von einer Ausnahme abgesehen, mit Sensen. Das verstärkt den Eindruck eines ungleichen Kampfes, der in der Schlüsselszene im Mittelpunkt der Darstellung zum Massaker wird.

Am linken Bildrand ergreift eine beherzte Frau kühn den Gewehrlauf eines Franzosen. Sie erweist sich damit ebenbürtig dem Helden Würsch, der sich im Rüteli oder am Hüttenort gegen sieben Franzosen durchgesetzt haben soll. Die Unterstützung der Männer durch Frauen dürfte den Tatsachen entsprechen. Vermutlich halfen die Frauen vor allem beim aufwändigen Nachladen der Gewehre. Auch andere Hilfsdienste und selbst Kampfhandlungen sind nicht ausgeschlossen. Zudem sollen Frauen an gewissen Stellen positioniert worden sein, um Fahnenflucht von Nidwaldnern zu verhindern.

Das überdeutliche Hinweisen auf den mutigen Einsatz von Frauen fällt hier zeitlich zusammen mit dem wachsenden Nationalbewusstsein im 19. Jahrhundert. Im Rahmen der Gründung des schweizerischen Bundesstaates von 1848 gewinnt Helvetia als Symbolfigur der nationalen Einheit an Bedeutung.

Zweifrankenstück
Das Zweifrankenstück von 1850 zeigt noch eine sitzende Helvetia, die mit der Hand zum einen segnet, zum andern den Weg weist.
Wikipedia
Zweifrankenstück
Seit 1874 sitzt Helvetia nicht mehr, sondern steht, neu nun mit Speer. Das Zweifrankenstück ist seither unverändert geblieben bis heute. 1875 folgten in gleicher Ausführung das Einfranken- und das Fünfzigrappenstück.
Wikipedia

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Wie kam Aloisi Allweger zu seinem Namen?

In der Erzählung von Gottfried Keller «Verschiedene Freiheitskämpfer» von 1863 ist Aloisi Allweger zwar ein Bauer vom Bürgenberg, aber der Name Allweger weist klar auf den Ort der Entscheidung im ungleichen Kampf zwischen Franzosen und Nidwaldnern am Allweg. Mit dem Allweg war das Tor nach Stans, das als Flecken keinen Mauergürtel besass, offen.

Eine Druckgrafik von 1850, überschrieben «Unterwaldner Heldenmädchen», situiert die Widerstand leistenden Frauen ausdrücklich «bei der Winkelriedskapelle». Die dortige Winkelried- oder Drachenkapelle wurde 1672 erbaut und beim Gefecht mit den Franzosen am Allweg 1798 zerstört. Die Kapelle war dem heiligen Magnus geweiht und zeigte im Dreieckgiebel über dem Haupteingang auf der linken Seite den Helden Winkelried, wie er die feindlichen Speere umfasst, auf der rechten Seite den sagenhaften Helden Struthan Winkelried, der beim benachbarten Drachenloch – eine in urgeschichtlicher Zeit bewohnte Höhle – einen Drachen getötet haben soll. – Nach der Zerstörung im Krieg wurde die Kapelle im Jahre 1805 wiederhergestellt.

Winkelrieds Capelle am Allweg
Winkelrieds Capelle am Allweg, nach Natur gezeichnet von Johann Heinrich Meyer, 1800
Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung Ms K 2a

Die Sage von Struthan ist älter als der Winkelried-Mythos. Die beiden Geschichten dürfen nicht vermischt werden. In der Inschrift einer Darstellung der Kapelle ist denn auch korrekt von «beiden Winkelrieden» die Rede.

Um 1780 hatte Johannes von Müller, der damals bedeutendste Geschichtsschreiber der Schweiz, weniger Sorgfalt walten lassen und die beiden sagenhaften Helden nicht mehr auseinandergehalten. Im Werk von Müllers, einer historischen Autorität ohnegleichen, wurden der Drachentöter und der Opferbereite zu ein und derselben Person. Diese Vorstellung hat sich zum Teil bis heute gehalten.