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Stumpentossen

Stumpentossen

Dieser Standort war militärisch kaum von Bedeutung, bietet aber von sämtlichen Wegmarken die beste Aussicht auf den See und das Kampfgelände von 1798. – Schweizerdeutsch «Stump, Stumpen» steht für etwas, das gekappt wurde, nur noch als stumpfer Kegel übrig blieb. «Tosse oder Tössli» bedeutet Felsblock, Felskopf, Felsspitze, auch Fels überhaupt. Beide Ausdrücke, Stumpen und Tossen, passen damit ausgezeichnet zu diesem prächtigen Aussichtspunkt.
Stumpentossen
➛ Marc Loison, Chasseur
➛ Laurenz Murer

Marc Loison, Chasseur

«Halten sich hier noch einzelne Nidwaldner versteckt? –Stans brennt bereits! Allez les soldats, allez!»
fiktiver Ausruf eines französischen Soldaten
Nicolas Pérignon
Nicolas Pérignon (1726–1782), Stans von der Bluematt aus, vor 1780; die Kampfszene wurde um 1820 von unbekannt aufgemalt, kolorierter Kupferstich (Ausschnitt)
Privatbesitz Klaus von Matt, Stans / Silvan Bucher
«Dieser Ort nützt den Nidwaldnern militärisch gesehen zwar nicht viel, denn ihre Scharfschützen können uns hier weniger gefährlich werden als im offenen Gelände. Aber wir müssen sicher sein, dass uns einzelne Nidwaldner von diesem abseits gelegenen Geländepunkt aus nicht plötzlich in den Rücken fallen.»
fiktive Aussage aufgrund des Geländes

Geschichte weiterdenken

Was könnte die Nachricht «Stans brennt!» bei den Angreifern und Verteidigern auf dem Bürgenberg ausgelöst haben?

Als Hörbeiträge empfehlen wir Ihnen:

FKann man sich einem aufgezwungenen Eid mit List entziehen?
In Gersau wusste man sich 1798 zu helfen
MDie Wahrheit und die Bajonette
Peter von Matt

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Gebrauchsmalerei – Bildkommentar

Nicolas Pérignon
Nicolas Pérignon (1726–1782), Stans von der Bluematt aus, vor 1780; die Kampfszene wurde um 1820 von unbekannt aufgemalt, kolorierter Kupferstich
Privatbesitz Klaus von Matt, Stans / Silvan Bucher

Wir sind hier nicht mehr auf dem Bürgenberg, sondern blicken ungefähr von der Chlostermatt südwestlich von Stans auf den Talboden und Richtung Stansstad. In der Legende ist von der «Bluematt» die Rede. Der Maler stellte seine Staffelei aber viel eher auf der «Huob» auf. Vielleicht hat er selbst eine falsche Standortbeschreibung notiert.

Im Vorgelände von Stans, am Hang, wird zwar noch gekämpft. Aber einer erdrückenden Übermacht an Franzosen, bewaffnet mit Gewehren, stehen bloss noch vereinzelte Nidwaldner mit Sicheln und anderen bäuerlichen Geräten gegenüber. Die nach Stans eilenden französischen Soldaten und die vier bereits brennenden Häuser des Dorfes deuten unmissverständlich darauf hin, dass die Entscheidung auch hier gefallen ist. Nach dem Durchbruch der Franzosen auf dem Allweg war die Niederlage nicht mehr aufzuhalten. – Im Mittelpunkt die stolze Pfarrkirche, im Vordergrund rechts das Kapuzinerkloster, links das Kloster St. Klara der Kapuzinerinnen.

Soweit scheint alles klar. Man stutzt zwar leicht beim Betrachten dieses Bildes. Irgendetwas passt da nicht ganz zusammen. Aber man kann sich diese leichte Irritation vorerst kaum erklären. Und doch – ist es nicht reichlich eigenartig, dass in diese sonst friedliche Grundstimmung unvermittelt Krieg, Gewalt und zerstörendes Feuer einbricht? Aufklärung leistet die Bildlegende: Ein unbekannter Maler wollte den Angriff auf Stans am 9. September 1798 festhalten, sah sich offenbar kaum in der Lage, selber eine geeignete Szenerie dafür zu schaffen und griff mit leichter Hand zur Vorlage seines berühmten Malerkollegen Nicolas Pérignon (1726–1782). Dass dieses Gemälde bereits rund vierzig Jahre vorher gemalt worden war, hinderte ihn offenbar nicht. Pérignons Werk wurde zur Gebrauchsmalerei.

Es ist aufschlussreich, die ursprüngliche Darstellung zu betrachten, wie sie um 1780 angefertigt wurde. Vierzig Jahre später diente sie als Vorlage für die farbige Übermalung mit einer Kampfszene.

Nicolas Pérignon
Nicolas Pérignon (1726–1782), Stans von der Bluematt aus, vor 1780
Kantonsbibliothek Nidwalden, Stans

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Wer war der ursprüngliche Maler dieses Bildes?

Die Lebensdaten von Alexis-Nicolas Pérignon dem Älteren (1726–1782) zeigen an, dass er sechzehn Jahre vor der Franzosenzeit starb und somit die Kampfszene von 1798 nicht von ihm stammen kann. Das Bild mit dem Talkessel von Stans entstand vor 1782. Pérignon war, wie sein Name vermuten lässt, Franzose. Er wirkte als Maler, Zeichner und Kupferstecher. Zu seinen Spezialitäten gehören Porträts, Landschaften, Seen, bäuerliche Szenen. Insofern ist das vorliegende Bild durchaus typisch für sein Werk. Die Bedeutung von Pérignon lässt sich daran ermessen, dass er 1774 Mitglied der Académie Royale de Peinture et de Sculpture wurde und zwischen 1775 und 1781 mehrmals in vornehmen Salons von Paris ausstellte, vor allem ländliche Szenen.

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«Sin hus undt hostadt» – zum Flurnamen Schiltgrat

Markanter Teil des Grats des Bürgenbergs oberhalb des Gebiets mit dem Unteren, Mittleren und Oberen Schilt. Grat, Grätli in den Nidwaldner Namen bezeichnet einen länglichen, schmalen Bergrücken bzw. -kamm, der meist beidseitig steil abfällt.

In einer Quelle von 1601 findet sich der Eintrag: «sin hus undt hostadt, der Schilt genampt mit sampt dem Gradt, uff Bürgen gelägen, stost einhalben an Hans von Bürens Füringen, anderthalben an Steinmatt, nidtsich an Boumgarten».

nach Hug Albert / Weibel Viktor: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar, in 5 Bänden. Stans 2003

Laurenz Murer

«Mit einem einzigen riesigen Stein, den wir den Berg hinunterstiessen, erschlugen wir acht Franzosen und verwundeten noch mehrere!»
Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 471
EX VOTO
«EX VOTO, 1798, den 9. herbstmo»[nat]: Votivtafel (Ausschnitt)
Nidwaldner Museum, Stans
«Bereits vor der Landung der französischen Schiffe in Kehrsiten feuerte ich vor allem auf Offiziere und Tambouren. Als die Schiffe näher kamen, schoss ich mit doppelter Ladung Fuchsenbollen und anderem Schrot, was dem Feind grossen Schaden zufügte. Auf der Flucht rollte ich danach von der Anhöhe des Berges herab Steine auf die anrückenden Franken.»
nach Franz Joseph Gut: Überfall. Stans 1862, S. 471

Geschichte weiterdenken

Wie stellen Sie sich den Rückzug der Nidwaldner vom Ufergelände auf den Bürgenberg vor?

Als Hörbeiträge empfehlen wir Ihnen:

FKann man sich einem aufgezwungenen Eid mit List entziehen?
In Gersau wusste man sich 1798 zu helfen
MDie Wahrheit und die Bajonette
Peter von Matt

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Laurenz Murer erzählt von seinem Kampf und seiner Todesnot

«Über das Rüteli kam ich zum schwach besetzten Posten im Oberzingel. Aber das offene Gelände wurde bald ungünstig für uns. Wir zogen uns zurück, hinauf zur Wolfsgruebe. Auf dieser Anhöhe kannten wir jeden Stein, jeden Baum, jeden Winkel, und der Gegner musste in der kleinen Schlucht angreifen. Aber die Franzosen kamen mit immer neuen Leuten, wir meinten, das höre nicht mehr auf. Wir konnten nicht mehr standhalten. – Am Schluss stürzten sich wutentbrannt gleich drei Franzosen auf mich. Offenbar wollten sie ihr Pulver sparen, denn sie drängten mich mit ihren Stichwaffen zum Abgrund und stiessen mich schliesslich den steilen Abhang hinunter. Ich hatte in diesen Schreckmomenten grad noch Zeit, die Mutter Gottes anzurufen – dann stürzte ich hinunter. Wie lange ich bewusstlos dort liegen blieb, weiss ich nicht. Mit gebrochenem Arm und überall zerschunden, konnte ich mich zum Oberschilt schleppen. Der Hof war abgebrannt, überall mottete das Feuer noch, alles zerstört. Mich aber hatte die Himmelskönigin errettet. Als alles vorbei war, dankte ich Maria mit einem Bild meiner Rettung.»

fiktiver Text aus verschiedenen Quellen

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Bildkommentar zum Ex Voto mit der Himmelskönigin Maria

EX VOTO
«EX VOTO, 1798, den 9. herbstmo»[nat]: Votivtafel
Nidwaldner Museum, Stans

Mit Bajonetten an langen Eisenstangen versuchen drei französische Soldaten, einen Nidwaldner eine Felswand hinunterzustürzen. Der Stifter dieses Gnadenbilds deutet mit der bekrönten Himmelskönigin Maria in einem Wolkenkranz jedoch darauf hin, dass ihn die Gottesmutter aus seiner Not errettet habe. Das mit Ölfarben auf Holz gemalte Bild wird Franz Joseph Murer (1746–1805) von Beckenried zugeschrieben; es stammt aus der Wallfahrtskapelle Maria im Ridli in Beckenried. Murer war Maler, Fassmaler und Vergolder.

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Zum Flurnamen Stumpentossen

Stumpfkegliger kleiner Fels oberhalb einer Felspartie am Schiltgrat; man kann darauf stehen. Schweizerdeutsch Tosse oder Tössli bedeutet Felsblock, -kopf, -spitze, auch Fels überhaupt. Schweizerdeutsch Stump, Stumpen steht für irgendetwas Aufragendes, das gekappt wurde, so dass nur noch ein Stumpf übrigbleibt.

nach Hug Albert / Weibel Viktor: Nidwaldner Orts- und Flurnamen. Lexikon, Register, Kommentar, in 5 Bänden. Stans 2003